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Die Insel Sikinos - Ereignisreiche Ereignislosigkeit

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Der Ort Kastro mit dem Kloster der Zoodochou Pigis Der Ort Kastro mit dem Kloster der Zoodochou Pigis

Die Ereignislosigkeit in Sikinos ist ein Ereignis. Dies ist eine völlig andere Welt. Das Leben hat hier einen ganz anderen Takt. Es geschieht nichts, außer dass es Tag und Nacht wird, der Mond zu- und abnimmt, die Wellen mal mehr oder weniger laut rauschen, je nachdem, wie der Wind weht. Mal gar nicht, mal säuselt er nur, dann bläst er heftig. Eine Fähre kommt, sie fährt wieder ab. Das ist es auch schon. Die Insel der Ruhe und Gelassenheit!

Die kleine, fast völlig kahle Felseninsel Sikinos kennen in Deutschland nur wenige. Nebenan, auf den Inseln Santorin und Ios, wohin man hinüber sehen und nachts einige Lichter erkennen kann, ballen sich all die anderen Touristen. Da gibt es Discos und Bars, da steppt der Bär. Hier nicht. Es sind schon einige Touristen unterwegs, junge Paare und ältere, einige Deutsche, Briten und Franzosen, aber vor allem sind wir unter Griechen. Die reisen hier herum wie wir, offenbar gibt es nicht nur Notleidende, Krisengebeutelte im Lande.
Wir wohnen in Alopronia, direkt am Hafen im „Vrachos“, auf dem Felsen. Von unserer Terrasse aus erleben wir die Ankunft und Abfahrt der seltenen Fähren, sehen auf die wenigen Fischerboote, das weite tiefblaue Meer, im Hintergrund die schwachen Silhouetten der Nachbarinseln, die Lichter von Santorin und die Felsen von Ios. Morgens bei Sonnenaufgang schimmert das Meer golden, nachts bei Vollmond silbern. Aber das tiefe Blau des Tages ist das Schönste, das kykladische Blau, das sich in den blauen Türen und Fenstern der weißen Häuser wiederfindet. Nur die Treppe runter geht es rechts zu einem Badeplatz zwischen den großen Felsen oder links herum zum breiten, reinen Sandstrand. Ein Café, ein Estiatorio (Restaurant) „Meltemi“, die Stühle dicht am Strand. Mehr Auswahl braucht man nicht, wenn es gleich die richtigen Plätze sind.Es gibt auch nur einen Laden, wo man Brot und Shampoo kaufen kann, allerlei in Dosen – was sich eben hält. Ich weiß nicht, wovon die Menschen leben. Kaufen können sie hier jedenfalls nicht viel. Dicke, sehr reife und unglaublich süße Tomaten kaufen eher die Fremden, die Einheimischen holen sie sich aus ihren winzigen Gärtchen. Die Insel ist ziemlich trocken und steinig, da kriegen sie kaum ein Pflänzchen hoch. Ein großer Teil der Insel ist terrassiert, wo etwas mühsam Landwirtschaft betrieben werden kann. An einigen Stellen wächst sogar Wein. In der Antike hieß Sikinos sogar Oinoe, Weininsel, was man heute kaum noch nachvollziehen kann. Doch, es gibt noch ein wenig Wein. Der einzige Winzereibetrieb bietet sogar neben seinem Wein Speisen an.

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Idyllische Szenerie

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Anspruchslos und bescheiden

Das Leben spielt sich hier sehr bescheiden und anspruchslos ab, wie ganz früher. Das bisschen, was man kaufen kann, ist unglaublich teuer, das Essen in den Lokalen allerdings nicht, die Preise sind da ganz normal. Für das Eimerchen Griechischer Joghurt, das wir bei uns für 1,70 Euro  kaufen, zahlen die Kunden hier 3,60 Euro. Hier fehlen eben Penny, Aldi, Lidl und Edeka. Alles muss von weit her transportiert werden. So erklärt sich, dass die Einheimischen halt alles selbst machen, was sie brauchen, alles außer Shampoo und Sardinen in Dosen. Ich ernte auch Kapern, die ich in grobes Meersalz einlege. Die Griechen pflücken nicht nur die Knospen, sondern auch die kleinen Blättchen, die sie in Salzwasser konservieren. Da rupfen sie die Sträucher sehr ab, offenbar eine beliebte Ernteaktion.
Das Meer ist warm, sehr sauber, der Strand eine weite Sandbucht, kein Kieselchen weit und breit. Am Rand stehen alte Tamarisken. Darunter hat die Gemeinde Bänke aufgestellt, auch einige große Sonnenschirme, sodass man immer einen Schattenplatz finden kann. Da schwimmen wir gern weit raus. Einige wenige Segelboote liegen vor Anker – aus Frankreich, aus den USA und aus der Türkei. 

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Der Strand Alopronia ganz in der Nähe des Hafens

Junge Nonne im weißen Kloster

Nachmittags fahren wir gern mit dem Linienbus hoch ins alte Dorf, das sich auf zwei Hügeln erstreckt – das weitgehend verlassene Chorio und die lebendige Chora, die im Kern fast identisch ist mit dem Kastro, der rechteckigen venezianischen Wehranlage. Es ist ein wunderschöner, typischer Kykladenort mit weißen Würfelhäusern, vielen Blumenpötten, alten Kirchen. Von überall hat man einen Blick aufs Meer, zu zwei Seiten, denn das Dorf ist auf dem Sattel zwischen den Bergen gebaut. Ganz ganz oben krönt ein weißes Kloster, eine Wehrburg, die Spitze. Auf einem langen, steilen Treppenweg kommt man hoch. Neuerdings wohnt wieder eine junge Nonne dort. Ganz allein. Ob sie sich nicht einsam fühlt? „Nein, Gott ist doch bei mir. Mit dem kann ich immer sprechen“, sagt sie überzeugt. Das Kloster ist frisch renoviert, es war fast 200 Jahre verlassen. Die Kirche hat mal Geld ausgegeben, denke ich. Nicht falsch in der Krise, wenn die Reichsten hier investieren und damit Arbeit schaffen. Nein, die Leute aus dem Dorf haben dafür gespendet, verrät sie etwas verlegen. Die haben auch mit angepackt und helfen ihr auch jetzt, alles in Schuss zu halten. Jeden Tag bietet die Nonne um 17 Uhr eine Vesper an, wozu sie uns freundlich einlädt. 

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Altes Gemäuer, weißes Kirchlein

Wieder aufgebaut: das alte Kastro

Auch das Dorf, wo wir vor wenigen Jahren Sorge hatten, ob es nicht noch ganz abbröckelt, so heruntergekommen und vernachlässigt war es schon, ist nun wieder lebendig, vieles repariert, renoviert oder zumindest gestrichen. Der Tourismus hilft, dass die Einheimischen Geld verdienen können und nicht mehr abwandern müssen. In drei Monaten verdienen sie genug für das ganze Jahr, wenn sie sparsam leben, und das tun sie offensichtlich. Anders als auf anderen Inseln verkaufen die Leute hier auch Häuschen und Grundstücke, die sie selbst nicht mehr nutzen, obwohl man das traditionell nicht gern tut. So wird der Ort aber wenigstens erhalten. Mag sein, dass das ortsansässige Immobilienbüro diese Änderung der Ansichten beschleunigt. 
So alt das Kastro auch wirkt, es ist nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut. Alles war hier zerstört, alles außer den Kirchen. Die italienischen Besatzer, die zwischen 1941 und 1943 hier geherrscht haben, ließen die Häuser niederreißen. Was die deutschen Besatzer hier anschließend, in der Zeit nach der italienischen Kapitulation bis 1944, getrieben haben, erfahren wir nicht. Darüber wird nicht gesprochen, jedenfalls nicht mit uns Gästen aus Deutschland.Von Flüchtlingen, von irgendeiner ökonomischen Krise ist hier keine Spur zu sehen. Das findet in den Zeitungen statt und vor allem in Athen. Das ist weit weg. Auf der Insel war die Saison gut. Im Herbst ziehen einige Vermieter wieder nach Athen, dann holen sie der Streik der Fähren und alles wieder ein, was sie den Sommer über hinter sich gelassen haben.
Abends sind wir die einzigen, die auf den Bus warten. „Einsteigen, hier kommt ihr Minibus!“, ruft der Busfahrer aus seinem privaten Pkw und fährt uns runter. Pragmatische Problemlösung, eine griechische Spezialität.

Lange, wechselvolle Geschichte

Sikinos war seit mykenischer Zeit durchgehend besiedelt. Die Insel teilt die wechselvolle Geschichte der Kykladen. Allerdings gibt es eine Besonderheit: Während des russisch-türkischen Krieges gehörte Sikinos zwischen 1770 und 1774 zu Russland. Von all den historischen Epochen ist heute kaum noch etwas zu sehen. Die Landschaft ist die Hauptsehenswürdigkeit, die von sehr gut ausgeschilderten Wanderwegen durchzogen ist. Einen Anziehungspunkt stellt die Kirche Kimissis Theotokou in Episkopi dar, ursprünglich ein römisches Mausoleum vom Ende des 7. Jahrhunderts, das in eine frühchristliche Kirche umgewandelt wurde. In ihrer jetzigen Gestalt stammt sie aus dem 17. Jahrhundert, den Glockenturm haben die Venezianer hinterlassen. Daneben stehen noch die byzantinische Kapelle Agia Anna und einige verfallene Klostergebäude. Einige wenige Mauerreste der antiken Stadt findet man in der Nähe, bei Agia Marina auch einige hellenistische und römische Reste einer Besiedlung. Man muss schon ein Auge dafür haben, wenn man das finden will. Aber wer sucht denn solche Steine, wenn die Ausblicke in die Landschaft schon so bezaubernd sind, der Wind den Duft von Thymian heranweht, sich Ruhe um einen ausbreitet, nur ein paar Zikaden schrillen und man hoffen kann, später in der Chora einen Elliniko in der schattigen Hauptgasse zu bekommen. Das Wort „Ereignis“ erhält auf dieser Insel einen ganz neuen Klang.

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Verfallenes Gebäude eines Klosters aus dem 17. Jahrhundert

Text und Fotos von Hiltrud Koch

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