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Geschwungene Gassen und Dorfplatz vom Feinsten

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Foto (© Griechenland Zeitung / Klaus Bötig): Fähranleger von Nisyros. Foto (© Griechenland Zeitung / Klaus Bötig): Fähranleger von Nisyros.

Tausende Tagesausflügler vom nahen Kos her überfluten an jedem Sommertag die kleine Vulkaninsel Nissyros. Über Nacht bleibt kaum ein Fremder. Doch eine Übernachtung sollte man sich schon gönnen, um den Inselwinzling authentisch kennenzulernen.

Unsere Spritztour von Kos nach Nissyros unternehmen wir auf eigene Faust, haben sie aber gut vorbereitet. Nach 50 Minuten Überfahrt mit dem schnellen Katamaran steht unser Mietwagen direkt am Schiff bereit. Es ist 14.30 Uhr. Die junge Vermieterin hält einen Zettel in den Händen, auf denen groß „Klaus“ steht. Sie notiert sich die Führerscheinnummer, nimmt den Mietpreis in bar entgegen und wünscht uns eine schöne Zeit. Eine Minute weiter holen wir im Hotel nur noch die bereit liegenden Zimmerschlüssel ab, ohne auch nur den Personalausweis zu hinterlassen – und schon geht es kurvenreich hinauf auf den Kraterrand. Uns kommen nur wenige Autos entgegen. Die letzten Tagesausflügler, die alle spätestens um 16 Uhr wieder auf ihren Booten sein müssen. Der Parkplatz am Dorfeingang von Nikia ist leer, das kleine, modern gestaltete Vulkanmuseum aber noch geöffnet. Da darf man verschiedene vulkanische Gesteine Griechenlands sogar anfassen und erfährt Rudimentäres über den Vulkanismus in der Ägäis.

Schönes Nikia

Eine schmale, leicht geschwungene Gasse führt vom Parkplatz 200 Meter weit bis zur Platia. Die gehört zu den außergewöhnlichsten im ganzen Land. Die zweigeschossigen Häuser an der Gasse sind alle gut gepflegt, werden aber nur noch im Sommer bewohnt. Jetzt ist Nikia fast menschenleer; nur noch 60 Menschen verbringen da den Winter. Auch auf der kreisrunden Platia sind alle Tische unbesetzt. Über der Platia ragt der Glockenturm der Dorfkirche auf, man kann ihn besteigen. Sagenhaft ist der Blick von hier auf die Nachbarinsel Tilos. Bei ganz klarer Sicht sind dahinter sogar noch Chalki und das ferne Rhodos zu erkennen.

Vom Kirchturm in Nikia reicht der Blick bis Tilos hinüber

Im „Kafenio tou Nikola“ essen wir heute einmal rein vegetarisch. Das Dakos, die griechische Variante des Bruschetta, wird hier mit besonders vielen Kapern samt ihren Blättern serviert. Auf der Fava liegen eine dicke Schicht Zwiebeln und das Grün von Staudensellerie, der chtipiti-Käse ist mit Chilistreuseln bestreut. Dazu trinken wir Tee aus losen Kräutern, natürlich mit Honig. Und die ganze Essensstunde über kommt kein anderer Fremder auf die Platia – obwohl es erst Ende September ist.
Auf dem Rückweg zum Auto fällt unser Blick durch die Seitengassen zur Rechten immer wieder auf die weite Ägäis. Gehen wir die Gassen auf der anderen Seite nur ein paar Schritte hinein, stehen wir unmittelbar am Kraterrand, blicken mehrere hundert Meter weit in die zur einen Hälfte grüne, von Ziegen und Kühen beweidete Hälfte , zur anderen Hälfte einer Mondlandschaft ähnelnde Caldera. Wie schon auf der Außenseite des Vulkans erinnern uns die vielen, jetzt größtenteils verfallenden Terrassen an den steilen Hängen an den einstigen Fleiß vieler vergangener Generationen.

Zum vegetarische Mahl gibt es im Kafenio tou Nikola einen würzigen Kräutertee

In der Caldera

Kurvenreich geht es nun mit dem Auto in den Riesenkrater hinab. Die Straße wurde so gut ausgebaut, dass auch die vielen Busse mit Tagesausflüglern sie bequem nutzen können. Sie endet vor einem Kassenhäuschen, an dem drei Euro Eintritt bezahlt werden müssen. Dann darf man an der Kafeteria vorbei in den Stefanos-Krater hinab steigen, den größten der fünf Sekundärkrater innerhalb des großen Kraters. Er ist etwa 350 Meter lang und 250 Meter breit, seine Wände sind an vielen Stellen von Schwefel glitzernd gelb gefärbt. Aus Erdlöchern steigen heiße Schwefeldämpfe auf, in kleinen Mulden blubbert Schlamm. Auf von der vulkanischen Erdwärme erhitzten Steinen könnte man Spiegeleier braten. Hüpft man ganz leicht, vibriert der scheinbar unterhöhlte Boden.

Der Blick in die Caldera

Der zerschossene Spiegel

Es ist 17.30 Uhr. Wir steigen wieder in unseren Wagen und steuern nun Emborio an, das zweite Dorf direkt auf dem Kraterrand. Es wurde bei einem Erdbeben 1933 stark beschädigt und hat sich davon seitdem nicht erholt. Viele Häuser sind noch immer Ruinen, nur direkt neben der Burgruine verunziert eine neue Prachtvilla den Anblick des Ortes. Wir gehen nur ein paar Schritte durch den historischen Dorfkern bis zum „Balkon von Emborio“, dem alten Dorf-Kafenio, das sich inzwischen zur Taverne mit großer Aussichtsterrasse mit totalem Blick in die Caldera hinein entwickelt hat.
Doch die Tagesausflügler sind ja längst weg, außer uns sind nur noch vier andere Gäste da und schlürfen ihren Sundowner. Im kleinen Gastraum hängt dem Tresen gegenüber ein alter, durch Einschüsse beschädigter Spiegel. Er zeugt von einem Gefecht, das deutsche Soldaten im Februar 1945 mit griechischen Partisanen austrugen. Neun Freiheitskämpfer kostete es das Leben.

Eine Nacht in Mandraki

Mit dem letzten Tageslicht kehren wir in den Hafenort Mandraki zurück. Nach einer kurzen Verschnaufpause in unserem Hotel ganz nahe dem Anleger schlendern wir am Meer entlang zu Fuß in den Hauptort, der nahezu autofrei ist. An den engen, gewundenen Gassen sind noch viele Tante-Emma-Läden geöffnet. Viele Haustüren und Fenster stehen offen, ermöglichen Einblicke in urgriechische Wohnstuben. Die Wallfahrtskirche der Panagia Spiliani auf dem 135 Meter hohen Kastro-Felsen, den die Häuser noch ein paar Meter hinaufklettern, ist angestrahlt. Wir schwenken aber ab Richtung Platia Iliokmeni, dem Dorfplatz von Mandraki. Wie der von Nikia gehört er zu den Top Ten in der Ägäis. Er ist behaglich klein, kein Passant bleibt unbemerkt oder gar ungegrüßt. Tische und Stühle weniger Tavernen stehen unter dem dichten Blätterdach alter Fici benjaminica, ins Pflaster sind die für den Dodekanes typischen Mosaike aus schwarzen und hellen Kieselsteinen eingelassen. Hier konzentriert sich alles auf das Hier und Jetzt, der Blick kann nicht in die Ferne schweifen, die Ägäis ist nicht zu sehen. Da kann man sich ganz auf seinen gedeckten Tisch und seine Tischgespräche konzentrieren. Gesprächspartner sind jetzt Ende Corona-September aber rar: Gerade einmal fünf Tische sind auf der gesamten Platia besetzt, als wir gegen 22 Uhr zu einem Nightcup direkt oberhalb der Brandung aufbrechen.

Gegen den Strom

Der Mietwagen steht noch am Hotel. Da können wir noch vor dem Frühstück eine kleine Spritztour in die Antike unternehmen – unsere Fähre zurück nach Kos fährt ja erst um 10.30 Uhr ab. Am oberen Dorfrand entlang führt uns eine Straße am Schulzentrum und dem Sportplatz der Insel vorbei zur „Palekastro“ genannten Gemarkung, in der ein über 100 Meter langer Abschnitt der Stadtmauer aus dem 5./4. Jahrhundert v. Chr. nahezu perfekt erhalten blieb. Sechs Meter ist er hoch, vier Meter dick. Genau ineinander gepasste Steinblöcke aus vulkanischen Trachytgestein sind bis zu 80 Zentimeter hoch und zwei Meter lang. Über eine Treppe gelangen wir auf die Mauer, blicken von ihr aus Richtung Norden auf das so viel größere Kos. Wir waren diesmal nur20 Stunden auf Nissyros – und haben doch so viel erlebt.
Als unser altmodischer Dampfer, die „Panagia Spiliani“, dann um halbelf pünktlich ablegt, treffen gerade die ersten Ausflugsboote von der großen Schwester her ein. Zehn Busse stehen bereit, ihre Passagiere in die Caldera hinauf zu bringen. Wir sind froh, Nissyros ohne ihresgleichen erlebt zu haben. Erheblich mehr als ein Ticket für den Tagesausflug hat uns das auch nicht gekostet.

(Griechenland Zeitung / Klaus Bötig)

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