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Elektrischen Strom gab es damals noch nicht

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Foto (© Griechenland Zeitung / kb_Parschau): Heute fahren sogar Autofähren nach Gavdos. Foto (© Griechenland Zeitung / kb_Parschau): Heute fahren sogar Autofähren nach Gavdos.

Vor vier oder fünf Jahrzehnten war die Gastfreundschaft in Griechenland noch sehr viel ausgeprägter als in den heutigen Zeiten des Massentourismus. Wer damals schon in Hellas unterwegs war, erinnert sich gern an Erlebnisse wie die unseres Autors.

Auf Kreta war ich erstmals im Winter 1973/74 für ein paar Wochen. Ich war in meinem Renault R4 von Marburg aus mit einer deutschen Kommilitonin und einem Kommilitonen aus Dayton/Ohio losgefahren, die mir eine Mitfahrzentrale vermittelt hatten. Als wir nach der Durchquerung Jugoslawiens endlich in Athen ankamen, beschlossen die beiden, nicht wie eigentlich gebucht in Athen auszusteigen, sondern die Reise mit mir fortzusetzen. Eine junge Südafrikanerin namens Joanne schloss sich uns in Athen auch noch an. Mir war es recht.

Heiße Ziegenmilch und Zwieback

Nach ein paar Tagen in der Hauptstadt Iraklio steuerten wir die Südküste Kretas an. Es dämmerte schon, als wir die große Messara-Ebene erreichten. Wir wussten nicht, wo wir übernachten sollten. Internet und Buchungsportale gab es ja noch nicht und die Übernachtungsmöglichkeiten waren damals noch recht dünn gesät. Wir hielten am Straßenrand, um zu beraten. Ein etwa zehnjähriger Junge sah uns und kam auf uns zu. Wir fragten ihn, ob er wisse, wo wir schlafen könnten. Er bat uns, einen Moment zu warten. Nach drei Minuten kam er zurück und forderte uns auf, ihm zu folgen. Er brachte uns in ein kleines, einfaches Bauernhaus. Seine Eltern zeigten uns, wo wir uns dort hinlegen konnten und stellten noch die damals allgemein üblichen Fragen: „Wie heißt du? Woher kommst du? Wie ist das Trinkwasser da? Ist es da immer kalt und dunkel? Bist du verheiratet? Wieviel verdienst du im Monat?“ Am nächsten Morgen bekamen wir noch heiße Ziegenmilch und harten Zwieback – Geld von uns zu akzeptieren, kam für die Familie nicht in Frage.

Ziegen werden auchheute noch per Hand gemolken

Überfahrt mit winzigem Kaïki

Ein noch viel größeres Maß an Gastfreundschaft widerfuhr meiner Frau Christiane Ende September 1977 auf Gavdos, der Kreta vorgelagerten südlichsten Insel Europas. Ich hatte schon im Frühjahr einen Auftrag der Reisezeitschrift Merian für eine Reportage über dieses Eiland angenommen und plante den Trip dorthin für den September. Doch dann übernahm ich für den Studienreiseveranstalter Studiosus, für den ich inzwischen gelegentlich arbeitete, eine große Griechenlandrundreise, die bis zum 2. Oktober dauern sollte. Anfang September kamen mir Bedenken, ob ich Gavdos im Oktober überhaupt noch erreichen könnte. Die Insel war nur durch ein zweimal wöchentlich verkehrendes, winziges Kaïki mit Südkreta verbunden und das Libysche Meer war im Herbst oft stürmisch. Also bat ich Christiane, doch sicherheitshalber schon einmal Mitte September für eine Woche nach Gavdos überzusetzen. Notfalls könnte ich dann meine Reportage auf Basis ihrer Erlebnisse schreiben.

Am südlichsten Punkt Europas steht heute ein überdimensionerter Stuhl kb Parschau
Am südlichsten Punkt Europas steht heute
ein überdimensionerter Stuhl.

Zu Gast im Hause des Popen

Christiane machte sich mutig allein auf den Weg. In Paleochora stieg sie morgens in das Kaïki, das sie in etwa dreistündiger Fahrt auf den Inselzwerg bringen sollte. Mit an Bord waren zwei Mann Besatzung, eine ältere Frau, eine Handvoll Ziegen, ein paar Kartons, Säcke und Getränkekisten. Die beiden Frauen kamen miteinander ins Gespräch, soweit das angesichts der damals stark rudimentären Griechischkenntnisse von Christiane überhaupt ging. Auf jeden Fall war klar: Kyria Poppi war die Schwiegermutter des Inselpopen. Und Christiane sollte in ihrem Haus auf Gavdos wohnen.
Der Pope stand in schwarzem Talar am Anleger bereit. Er hatte zwei Esel bei sich. Eigentlich war einer für ihn, der zweite für Frau Poppi bestimmt. Doch nun war ja auch noch Christiane da. Also bekam sie den Esel des Priesters. Die beiden Frauen saßen auf, der Pope trottete hinterher. Über eine Stunde dauerte der Ritt hinauf ins fast unbewohnte Dorf Vatsiana. Straßen gab es damals auf Gavdos überhaupt noch nicht, die ganze Insel zählte gerade einmal 60 Bewohner.
Der Priester, seine Frau und seine beiden Töchter nahmen Christiane wie ein Familienmitglied in ihrem Haus auf. Zu Ehren des Gastes wurden an mehreren Abenden Konservendosen mit dänischem Frühstücksfleisch oder Ölsardinen geöffnet, ansonsten gab es vegetarische Kost und täglich frische Eier von den eigenen Hühnern. Nach dem Essen wurde der Schwarz-weiß-Fernseher eingeschaltet. Elektrischen Strom gab es damals auf Gavdos noch nicht. Das Gerät war an eine alte Autobatterie angeschlossen. Das Bild war mehr zu erahnen als zu sehen.

Monopoly und Inselkarte

Eine zweite Abendbeschäftigung war das Monopolyspielen. Poppi hatte Christiane vorgewarnt: Der Pope musste gewinnen, sonst war er den ganzen nächsten Tag lang ungenießbar. Man gewährte ihm die Freude gern. Als Gastgeschenk am Ende der Reise zeichnete der fromme Mann eine Inselkarte, denn gedruckte waren auf der ganzen Welt nicht erhältlich. Die vielen guten Strände der Insel zeichnete er nicht ein, denn sie waren für die Insulaner damals gänzlich unbedeutend. Topographische Punkte waren die beiden Inseldörfer, der Anleger, der Leuchtturm – und als wichtigster Punkt überhaupt die Stelle, an der der Apostel Paulus auf seiner Reise nach Rom Schiffbruch erlitt.

Trinkwasser aus dem Brunnen

Anfang Oktober flog dann auch ich von Athen nach Kreta. Von Chania ging es per Bus nach Paleochora, wo Christiane schon auf mich wartete. Am nächsten Tag bestiegen wir gemeinsam das Kaïki. Mit an Bord war noch ein junger deutscher Rucksacktourist. Diesmal wollten wir nicht beim Popen übernachten. Christiane hatte bei ihrem ja gerade erst beendeten ersten Inselaufenthalt herausgefunden, dass man im Hauptdorf Kastri beim Inhaber einer der beiden Kafepantopolia ein Zimmer mieten konnte. Also wanderten wir zusammen mit dem anderen Deutschen nach Kastri hinauf. Der Ladeninhaber führte uns zu einem nahen zweigeschossigen Haus am Dorfrand. Darin war auf jeder Etage ein großes Zimmer, das jeweils die ganze Grundfläche des Gebäudes einnahm. In jedem der beiden Zimmer stand als einziges Möbelstück ein Bett. Ein Badezimmer gab es nicht. Im steinigen Vorhof konnte man aber Wasser aus einem Brunnen schöpfen, in einen bunt bemalten Kanister mit Wasserhahn einfüllen und dann das „fließend kalt Wasser“ genießen. Eine Toilette fehlte völlig. Fürs kleine und große Geschäft musste man sich auf eine Brache hinterm Haus begeben.

Abendessen mit Publikum

Nach kurzem Verschnaufen gingen wir ins Kafepantopolio. Wie der Name schon sagt, war es Kaffeehaus und Gemischtwarenhandlung zugleich. Ein niedriger Verkaufstresen trennte beide Bereiche. Der Kaffeehausbereich bestand aus einer niedrigen, bühnenartigen Empore, auf der ein Tisch und vier Stühle standen. Der Wirt bat uns, dort Platz zu nehmen und schenkte jedem von uns ein Glas Wein ein. Er bot uns an, das zu essen, was es mittags in seiner Familie gegeben hatte. Davon sei noch etwas übrig. Das lehnten wir natürlich nicht ab und genossen die dicken Bohnen mit einem Stück Ziegenkäse. „Die nächsten Tage könnt ihr mir dann immer morgens sagen, was ihr abends essen wollt“, bot uns der Wirt noch an. In Ermangelung von Alternativen akzeptierten wir das gern. Dass wir fortan abends im Laden essen würden, sprach sich unter den wenigen Dorfbewohnern schnell herum. Wir wurden zum Theaterensemble. Während wir aßen, saßen stets mehrere männliche Dorfbewohner auf Stühlen direkt vor dem Tresen und schauten uns zu. Erst wenn wir fertig waren, brachen sie ihr Schweigen und stellten uns Fragen.

Reisewecker als Gastgeschenk

In unseren sechs gemeinsamen Tagen auf Gavdos erkundeten wir zu Fuß die ganze Insel. Wir lernten die beiden Inselpolizisten kennen, die nichts anderes zu tun hatten, als täglich in einem Bericht niederzuschreiben, dass es nichts zu berichten gab. Und wir besuchten auch noch einmal den Inselpopen und seine Familie. Als Gastgeschenk überließen wir ihm Christianes einklappbaren Reisewecker, den er zuvor so bewundert hatte. Beim nächsten Mal sollten wir ihm bitte ein Fernglas mitbringen, damit er Kreta besser sehen könne.

Heute ist Gavdos vor allem bei Wildcampern beliebt kb Parschau
Heute ist Gavdos vor allem bei Wildcampern beliebt
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(Griechenland Zeitung / Klaus Bötig)

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