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Wie Euripides Medea Kindsmord andichtet

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Foto (© Griechenland Zeitung / Jan Hübel) Foto (© Griechenland Zeitung / Jan Hübel)

Hysterisch vor Eifersucht, weil ihr Gatte Jason, Anführer der Argonauten, eine andere Frau begehrt, tötet Medea die eigenen Söhne. Die Medea-Sage gehört seit der Antike zu den bekanntesten Stoffen der Weltliteratur.

Medea wird auf Gemälden, in der Musik und in Theaterstücken dargestellt. Nach dem Motto „Was immer man tu, man schiebe es der Frau in den Schuh“ schaffen Männer seit jeher Frauengestalten, denen sie böse Vergehen aufhalsen. Eva verführt Adam, vertreibt ihn aus dem Paradies. Pandora öffnet die Büchse, aus der Kriegsverbrechen, Mord und Todschlag strömen. Hosseini, der Schriftsteller und Menschenrechtler aus Afghanistan, schreibt: „So wie eine Kompassnadel immer nach Norden zeigt, wird der anklagende Finger eines Mannes immer eine Frau finden.“ In der Originalfassung verguckt Jason sich in eine Neue und verbannt Medea vom Thron. Die Göttin Hera verspricht ihr, die Kinder zu retten, doch Helios entführt Medeas Nachwuchs. Weil sie einer Frau in Not zu helfen versucht, wird Hera fortan alle 14 Jahre von den Korinthern gesteinigt. Dann kommt der Dichter Euripides und schreibt den Originalmythos um, verfasst eine aggressive Um-Erzählung, eine Fälschung. Die Kindsentführung der Götter lässt er aus, stattdessen dichtet er Medea die Ermordung der Nebenbuhlerin und der eigenen Kindern an. Vor 2500 Jahren, in der Hoch-Zeit der griechischen Kultur, dominierte das patrilineare Recht. Zuvor wurde in der Mythologie die Frau verehrt, wie Hekate, Göttin und Hexenpriesterin, höchste Beschützerin der Frauen und des Frauenrechts. Im Patriarchat wird die machtvolle Frau – eine Medea mit magischen Künsten – zum bösen Weib, reduziert auf ihre Rolle als Gebärerin, und Eigentum des Mannes. In der Ӧffentlichkeit, im Theater, dominierten Männer, auf der Bühne wurden alle Figuren, auch Frauen, von Männern dargestellt. Auf den Zuschauertribünen saßen fast nur Männer, die wenig hier zugelassenen Frauen waren nicht die Ehefrauen ihrer Begleiter. Es passte den Männern in den Kram, dass in Euripides’ Um-Erzählung die Sympathien nicht der treuen Medea, sondern dem untreuen Ehemann galten. Die Fälschung, in der eine Frau aus purer Rache eine Ungeheuerlichkeit begeht und den Mann um die Zukunft seines Geschlechts bringt, wird durch die patriarchal domininierten Jahrtausende weitergereicht und macht den Mythos bis heute so faszinierend. Dabei geht der Rufmord des eifersüchtigen, unberechenbaren, bösen Weibes einzig auf die Fälschung eines antiken Machos zurück.

Linda Graf

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