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Scherben als Stimmzettel

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Foto: Vom Hortfund im Kerameikos: eine kleine Auswahl von Ostraka aus Feinkeramik gegen Megakles und Themistokles. Foto: Vom Hortfund im Kerameikos: eine kleine Auswahl von Ostraka aus Feinkeramik gegen Megakles und Themistokles.

Nach dem Ende der Tyrannenherrschaft in Athen ordnete Kleisthenes um 508/07 v. Chr. durch ein umfassendes Reformwerk die politischen Verhältnisse der Stadt neu. Eines seiner Ziele war es dabei, künftig eine erneute Tyrannis zu verhindern. Diese Absicht lag auch dem Ostrakismós (von „óstrakon“, dt.: Tonscherbe) zugrunde, dem sogenannten „Scherbengericht“, dessen Einführung in antiken Quellen ebenfalls dem Kleisthenes zugeschrieben wird.

Das Verfahren sah vor, dass eine Person, die des Strebens nach der Alleinherrschaft verdächtig war, die Stadt für zehn Jahre zu verlassen hatte. Diese „Verbannung auf Zeit“ hatte weder den Verlust des Vermögens noch jenen der bürgerlichen Rechte zur Folge. Der Ostrakismos konnte auf Antrag einmal im Jahr in der Volksversammlung durchgeführt werden. Die Stimmberechtigten ritzten dann jeweils den Namen desjenigen, den sie für verbannungswürdig hielten, in eine Tonscherbe. Vereinigte dabei jemand die erforderliche Mehrheit auf sich, war er gezwungen fortzugehen. Es liegt offenbar in der Natur der Sache, dass das Instrument des Ostrakismos im Ränkespiel der Politik immer wieder für Versuche missbraucht wurde, missliebige Widersacher auszuschalten. Und so spiegeln die zahlreich erhaltenen Stimmscherben denn auch ein „Who's who“ der politischen Elite der Stadt im 5. Jh. v. Chr. wider. Die Athener haben es sogar fertiggebracht, ihren großen Staatsmann Themistokles zehn Jahre nach seinen epochalen Erfolgen gegen die Perser in die Verbannung zu schicken. Die Nachteile des Verfahrens erkannten sie schließlich selbst, und so fand im späten 5. Jh. v. Chr. der letzte Ostrakismos statt. Bezeichnend für die gravierenden Mängel des Systems ist eine Legende, die über den athenischen Politiker Aristeides berichtet wurde. Bei einem Ostrakismos soll er von einem Fremden, der ihn nicht erkannte, gebeten worden sein, seinen eigenen Namen in dessen Scherbe zu ritzen. Nicht etwa, weil der andere ihn für gefährlich hielt, sondern weil er es nicht mehr ertrug, dass Aristeides immer nur „der Gerechte“ genannt wurde. (Griechenland Zeitung / Jens Rohmann)

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