Login RSS

Der Baum des Göttervaters Zeus

  • geschrieben von 
Foto (© Griechenland Zeitung / wa): Die Kermes-Eiche u. a. – Quercus coccifera – αριά/αζίλακας & πρίνος/πουρνάρι Foto (© Griechenland Zeitung / wa): Die Kermes-Eiche u. a. – Quercus coccifera – αριά/αζίλακας & πρίνος/πουρνάρι

Eichenwälder soweit das Auge reicht, ein dichtes Laubdach, Krone an Krone, das Unterholz abgeweidet von Ziegen. Passt das überhaupt auf eine griechische Insel? Es klingt sehr unwahrscheinlich, und doch gibt es dieses Landschaftsbild. Immergrüne Stein-Eichen säumen stellenweise die Straße, die über die Insel Alonissos führt. Rechts und links davon dehnen sich die Wälder aus, bis dahin, wo man sie gefällt hat, um Olivenhaine anzulegen oder wo sie der Rodung, vielleicht auch Bränden aus vergangenen Jahrzehnten zum Opfer gefallen sind.

Es sind keine hohen Bäume. Stein-Eichen wachsen sehr langsam. Ihr Holz ist wie bei allen Eichenarten sehr hart. Es trotzt Wasser, Wein und Feuchtigkeit, weshalb es zum Beispiel im Schiffsbau und für Fässer optimal ist. Wenn man das typische Eichenlaub der bekanntesten Eichen, der Stiel-Eichen, mit den großen abgerundeten Blättern erwartet, wird man die Stein-Eichen nicht immer gleich als Eichenbäume erkennen. Tragen sie gerade Eicheln, ihr eindeutigstes Erkennungsmerkmal, ist man zumeist sehr überrascht. Die Blattform der Stein-Eiche ist länglich, manchmal leicht gezähnt, und an der Unterseite dicht graufilzig. Der botanische Name Quercus ilex weist auf eine Ähnlichkeit zur Stechpalme hin. Diese, bekannt als Ilex, wächst in nördlicheren Regionen mit mild feuchtem Winterklima und weniger heißen Sommern, und ist mit ihren roten Früchten ein beliebter Weihnachtsschmuck.

Die verwirrenden „roten Beeren“ im Frühjahr

Noch erstaunter ist man bei der Kermes-Eiche. Mit kleinen gezackten Blättern wuchert sie als großer Busch, manchmal sogar zum Baum gezogen, über die Inseln der Ägäis und den gesamten Mittelmeerraum. Ist das wirklich eine Eiche? Noch verwirrender sind ihre kleinen roten „Beeren“ im Frühjahr! Also vielleicht doch ein Ilex, eine Stechpalme? Bei genauem Hinsehen kann man allerdings feststellen, dass diese leuchtend roten Gebilde fest auf den Blättern sitzen. Es ist die Gallbildung der Kermesschildlaus. In der Antike wurde daraus ein scharlach- oder karmesinroter Farbstoff gewonnen. Damals färbte man Wolle, Leder und die teure importierte Seide, die sich nur reiche Leute leisten konnten. Ansonsten wurden die Kleidungsstücke in ihrer Naturfarbe getragen. Heute findet in der Lebensmittel- und Kosmetikindustrie nur noch das Rot der Cochenille-Schildlaus, die auf den Feigenkakteen gezüchtet wird, Verwendung. Zurück zur Kermes-Eiche selbst: Erst wenn die Eicheln in ihren stacheligen Hütchen über das ganze Jahr langsam heranwachsen, gibt sich der Baum zu erkennen. Die verholzenden Fruchtbecher haben lange abstehende spitze Schuppen. Die länglichen Früchte haben seit jeher als Mastfutter und, wie die Holzbirne, auch als Nahrung gedient. Sie enthalten wie alle Eicheln u. a. Stärke, Zucker und Eiweißstoffe. Dabei bevorzugte man aber die Früchte der so genannten Speise-Eiche, Quercus aegilops, was soviel bedeutet wie „Eichenart mit essbaren Früchten“. Bekannter dürfte diese Art unter dem Namen Wallonen-Eiche, Quercus macrolepis, sein.

Eichelkaffee in der Not und als gesundheitsbewusste Alternative

Aber auch die Eicheln der Kermes-Eiche, die größer sind als die der Stein-Eiche, können von Interesse sein. So manchem ist vielleicht noch der Eichelkaffee aus den „Notzeiten“ ein Begriff. Heute ist Kaffee-Ersatz aus ganz anderen Gründen wieder gefragt, will man z.B. bei einer klassischen homöopathischen Therapie keinen echten Kaffee zu sich nehmen. Vielerlei Alternativen als koffeinfreie Getränke sind meistens aus Gerste, Gerstenmalz, Roggen, Zichorie und Feigen zusammengestellt. Die Eichel taucht selten auf. Möchte man aus den Eicheln der Kermes-Eiche etwas brauen – es muss ja nicht gleich Bier sein –, so erntet man reife Früchte, schält und röstet sie. Dann werden sie zu Pulver vermahlen und mit kochendem Wasser aufgegossen. Verfeinert mit Honig und Milch, mit etwas Zimt, vielleicht mit Kardamon und Nelkenpulver, lässt sich diese bitter-süße Flüssigkeit auch trinken. Ein Kaffee ohne Koffein! Wichtig ist dabei, dass die Früchte wirklich reif sind. Unreife Früchte sind noch bitterer, und der Gerbsäureanteil ist so hoch, dass die Milch gerinnt. Was übrigens allen Eichen gemeinsam ist, ist dieser hohe Gerbstoffgehalt in Form von Tannin in den Früchten und vor allem in und unter der Rinde. Er wird und wurde genutzt zum Färben und als Heilmittel. Bei Entzündungen des Zahnfleisches helfen Abkochungen zum Gurgeln. Bäder aus Eichenrindendekokt sind bei Schweißfüßen, Frostbeulen und Hämorrhoiden nützlich. Auch Durchfall-Erkrankungen können – mit Vorsicht! – damit behandelt werden. Laut Dioskurides ist die Wirkung der Stein-Eiche stärker als die der Stiel-Eiche, Quercus robur. Im gesamten Mittelmeerraum gibt es etwa dreißig Arten von Eichen, wobei beinahe die Hälfte auch in Griechenland vertreten ist. Eichen hatten seit alters her eine solch große Bedeutung, dass ihre Blätter, Eicheln und sogar der gesamte Baum immer wieder durch die Jahrhunderte hindurch auf Münzen abgebildet wurden.

Symbol des Göttervaters Zeus

In Mythologie und Epik taucht die Eiche ebenfalls auf. Bei Homer bekamen die Gefährten des Odysseus, in Schweine verwandelt, Eicheln zum Fraß vorgeworfen, während sie auf ihren Anführer warteten, der sich voll und ganz dem Zauber Kirkes hingab. Theseus wiederum hisste angeblich ein Segel, das nicht weiß, sondern mit dem Scharlachrot der Kermesschildlaus gefärbt war, als er gen Kreta fuhr, um den Minotaurus zu besiegen. Am berühmtesten ist wohl die Eiche des Göttervaters Zeus. Bevor man ihm Tempel erbaute, wohnte er in diesen starken, mächtigen Bäumen und gab allen, die um Hilfe baten, gute Ratschläge. Später übernahmen dies die Baumnymphen und Priesterinnen. Blätterrauschen und Vogelgezwitscher war zu vernehmen, wenn denn auch der oberste Herr zugegen war. Noch heute ist die Zeus-Orakelstätte von Dodona im Epirus geprägt durch ausladende Eichenbäume. Diese Baumriesen, die bis zu 30 Meter hoch werden können, verbindet man in verschiedenen alten Kulturen mit den Göttern. Sie war den Mächtigsten vorbehalten. In Hellas war es Zeus, im alten Rom Jupiter, bei den Germanen Donar. Die „Blitze schleudernden Götterkönige“ hatten die Eiche als heiligen Baum. Auch wenn auf Alonissos weder die Wallonen noch die Stiel-Eiche wächst, so gibt es doch noch ein paar wenige Exemplare uralter Stein-Eichen. Tausendjährige Bäume sollen es sein, wie die Einheimischen sagen. Lebende Zeitdenkmäler, bedenkt man die Langsamkeit ihres Wachstums. Drei stehen zusammen, die Stämme so stark und dick, dass man sie nur zu Viert mit ausgestreckten Armen umfassen kann. Ihre mächtigen Kronen, die in den Himmel ragen, künden von einer anderen Welt. Nähert man sich ihnen mit Achtung, dann kann man auch da ein ganz besonderes Rauschen der Blätter wahrnehmen oder sogar ein Vögelchen auffliegen sehen …

(Griechenland Zeitung / Waltraud Alberti)

Nach oben

 Warenkorb