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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

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Foto (© Griechenland Zeitung / lg) Foto (© Griechenland Zeitung / lg)

Ein 1965 erschienener Roman von Eric Malpass trägt den wunderschönen Titel „Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung“, machte mit einem himmelblauen Buchrücken in Vaters Bibliothek auf sich aufmerksam und hat meine Vorstellung einer geordneten, heilen Welt bereits als Kind beflügelt.


Dass die Welt frühmorgens noch in Ordnung ist, jetzt im Hochsommer, wo es gegen zehn bereits heiß ist, kommt mir in diesen Tagen oft in den Sinn. Um sieben ist es nicht heiß; auch ist man, wenn man zu dieser Zeit schwimmen geht, meist allein am Strand. Doch es dauert nicht lange, und die Hitze und der Rummel nehmen zu. In den letzten beiden Jahren macht sich in unserem ehemals ruhigen Ort am Ionischen Meer eine zunehmend lärmende Betriebsamkeit bemerkbar. Zuvor waren auch die Preise von Speis und Trank, von Wohnungen noch in Ordnung. Vor drei, vier Jahren wurde man noch fündig, wenn man sich zwecks ganzjährigem Wohnen nach einem Haus, nach einem Appartement umsah. Dies ist leider zu einem Unternehmen ohne große Erfolgsaussichten geworden. Besitzer bevorzugen es mittlerweile, ihre Wohnungen pro Nacht oder Woche an Touristen zu vermieten. Was zur Folge hat, dass manche Wohnungen den Winter über leer stehen. Es sei denn, ein Mieter – so wie ein Freund von uns – lässt sich darauf ein, die Wohnung außerhalb der Sommersaison zu bewohnen, ab Juni mit Sack und Pack auszuziehen, bei jemandem unterzukommen und nach der Sommersaison wieder einzuziehen. Evi aus dem zwanzig Kilometer entfernten Nachbardorf musste ein anderes Erlebnis verdauen: Ihr wurde eine Zweizimmerwohnung mit Schimmel an den Wänden für 600 Euro angeboten – mit zwei Kochplatten auf dem Kühlschrank, was als Küche zählt –, mit einem ruinösen Balkon, der online mit „Aussicht aufs Meer“ schöngeredet wird. Evi arbeitet hier im Ort und hat eine Unterkunft bitter nötig. Sie hat ein monatliches Einkommen von 800 Euro und weint nach der Wohnungsbesichtigung. Unser Dorf kann sicher nicht mit Santorini konkurrieren, wo täglich bis zu 17.000 Touristen auf Kreuzfahrtschiffen eintreffen und der Bürgermeister den Einwohnern auf Facebook rät, ihre Tätigkeiten außer Haus möglichst einzuschränken – was an einen Lockdown erinnert. Aber auch hiesiger kleiner Hafen ist im Sommer nicht mehr das, was er noch vor wenigen Jahren war. Außer morgens um sieben, wenn Spyros und Christos mit ihren Fischkuttern eintreffen und kleinere Fische an wartende Katzen verfüttern. Nebst dem alteingesessenen Verleih von Segelschiffen nehmen Katamarans den knappen Platz im Hafen ein, abends ist das Schlendern der vielen Touristen auf der Promenade ein Spektakel, dem die Dorfbewohner teils belustigt, teils skeptisch observieren. Seit der Ort in den sozialen Medien als authentisches griechisches Ferienparadies angepriesen wird, scheinen dem Besucherstrom keine Grenzen gesetzt. Stachen vor wenigen Jahren die Gäste unter den griechischen Einwohnern hervor, so sieht man jetzt, ab Juli, vor lauter Touristen die Griechen kaum mehr. Und spätestens ab 11 Uhr morgens ist der Blick auf die Strandzone am Meer von abgestellten Fahrzeugen verstellt. Aber: Morgens um sieben ist die Welt noch so lala. Zum Glück wissen die Einwohner immer noch, an welche stillen Orte sie sich zu dieser Jahreszeit zurückziehen können, die vom Andrang verschont geblieben sind. Dazu gehört sogar das Kafenion. Vom Wassermangel ist hiesige Gegend ebenso wie andere Regionen betroffen, in denen der Tourismus über ein vernünftiges Maß hinausgeht und jeder Neubau über ein Swimmingpool verfügt. Auch wenn der Bau am Meer liegt. Aber. Genug des Gejammers. Morgens vor sieben gehe ich täglich mit Pudeldame Marcella in der hügeligen, mit Olivenbäumen und Macchia gespickten Landschaft spazieren. Vor uns läuft ein junger Dachs ins Gebüsch, die Schafe, die um den gezwirbelten Stamm eines Olivenbaums herumliegen, blöken beim Anblick des Pudels, den sie wohl für ein der Herde abhanden gekommenes, schwarzes Schaf halten. Die aufgehende Sonne taucht die gesamte Landschaft minutenlang in ein fabelhaft rötliches Licht. Wie jeden Morgen begleitet uns der Nachbarhund. Um uns herum ist es nun still, und ich wünsche mir inständig, dass es weitere Orte wie diesen gibt, hier und dort, auf dem Festland und auf den griechischen Inseln, wo die Welt morgens um sieben und auch zu späterer Tageszeit noch in Ordnung ist. (Griechenland Zeitung / Linda Graf)

 

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