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Ein literarisch-philanthropischer Salon im spätosmanischen Kreta Tagesthema

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Foto (© Mpouzis Chania): Die Villa der Baronin von Schwartz heute. Foto (© Mpouzis Chania): Die Villa der Baronin von Schwartz heute.

Sie war eine der schillerndsten und interessantesten Frauen des späten 19. Jahrhunderts und eine frühe Vorkämpferin der Tierrechte: die Baronin Marie Espérance von Schwartz, auch bekannt unter ihrem gräzisierten Künstlernamen Elpis Melena. Einen Teil ihres bewegten Lebens verbrachte sie in Chania auf Kreta. Jetzt soll ihre fast zerstörte Residenz, die klassizistische Villa von Schwartz, restauriert und einer neuen Nutzung zugeführt werden.


Bröckelnder Putz, eingestürzte Decken, rissige Wände, ausgeleierte Fensterläden vor gähnenden Öffnungen. So präsentiert sich die um 1860 gebaute Villa der Baronin Marie Espérance von Schwartz im einstigen Nobelvorort und Diplomatenviertel der kretischen Stadt Chania, Chalepa, inmitten eines verwilderten Gartens. Die baufällige, seit 1974 geschützte Immobilie war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der wichtigsten Orte des Gesellschaftslebens von Chania, das damals und noch bis 1971 die Hauptstadt der Insel war. Die Bau- und Hausherrin der schmucken klassizistischen Villa gehörte zu den emanzipiertesten Frauen ihrer Zeit und gilt als Vorreiterin des Tierschutzes. Unter dem Pseudonym Elpis Melena – was nichts anderes als der ins Griechische übertragene Name Espérance Schwartz ist – war sie außerdem schriftstellerisch tätig. Nun soll die Ruine wieder hergerichtet und kulturell genutzt werden. Ein entsprechender Vertrag für diese und eine andere historische Villa wurde vergangene Woche zwischen der Stadt Chania und einem öffentlichen Kulturträger unterzeichnet. Die Villa Von Schwartz soll für die Ausstellung von ständigen Sammlungen der Stadt, etwa aus der Städtischen Pinakothek und der Stadtbibliothek, genutzt werden. Der zweite, ebenfalls baufällige Altbau, die Villa Pologiorgi, soll der zeitgenössischen und angewandten Kunst als Forum dienen. Sie wurde um 1870 gebaut und gelangte später als Mitgift in den Besitz des Freiheitskämpfers und Politikers Charalampos Pologiorgis (1857-1920), der im kurzlebigen Kretischen Staat zwischen 1898 und 1913 eine Rolle spielte und danach im Athener Parlament saß.

Spital für Pferde und Esel

Die Baronin von Schwartz kam 1818 in England als Tochter eines deutschen Bankiers zur Welt und wuchs vor allem in Genf auf. Jung verwitwet ließ sie sich in Rom nieder, wo sie einen literarischen Salon führte und unter anderem mit Franz Liszt befreundet war. In zweiter Ehe heiratete sie den Hamburger Bankier Ferdinand von Schwartz, mit dem sie eine ausgedehnte Abenteuerreise durch Griechenland und den Orient unternahm. Drei Jahre nach ihrer Scheidung zog sie 1857 mit dem italienischen Freiheitshelden Giuseppe Garibaldi zusammen, dessen Sache sie ebenso unterstützte wie später den kretischen Aufstand, der 1866 ausbrach – ein Jahr, nachdem sie sich in Chania niedergelassen hatte. Unter anderem bewog sie Garibaldi, 500 Mann zur Unterstützung der Aufständischen nach Kreta zu schicken. Auf Kreta führte sie – im Rahmen des für eine abgelegene osmanische Provinz Machbaren – ebenfalls eine Art Salon, vor allem aber widmete sie sich zahlreichen karitativen Einrichtungen und der Förderung der Bildung, etwa durch die Übersetzung deutscher Schulbücher ins Griechische. Zugleich engagierte sich die Baronin europaweit im Tierschutz, wozu sie unter anderem ein Spital für Pferde und Esel in Chania gründete. Sie verließ Kreta nach 1885 und starb 1899 in der Schweiz. Ihre Zeit in Chania verarbeitete sie in den 1892 veröffentlichten „Erlebnisse[n] und Beobachtungen eines mehr als 20-jährigen Aufenthaltes auf Kreta“ (Neuauflage 2008). (GZak)

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