In Griechenland sollen EU-Fördermittel für die Landwirtschaft in Höhe von mehreren Millionen Euro unterschlagen worden sein. Davon sollen Personen profitiert haben, die keinerlei Berechtigung für derartige Beihilfen hatten. Nun hat sich die Europäische Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die Rede ist von einem „organisierten Betrugssystem“ und einem „Schattenstaat“.
Es soll sich um einen der größten Fälle von Agrarbetrug handeln, die in den letzten Jahren enthüllt wurden. Unberechtigte Personen sollen in den vergangenen Jahren mehrere Millionen Euro in Form von EU-Zuschüssen für landwirtschaftliche Nutzflächen und Viehzucht erhalten haben. Vor allem auf der Großinsel Kreta soll der Betrug in großem Stil gelaufen sein: Den Betroffenen wird vorgeworfen, sich durch falsche Angaben persönlich bereichert zu haben. Involviert sein soll in diese Affäre eine öffentliche Institution mit dem sperrigen Namen „Agentur für die Zahlung und Kontrolle der Gemeinschaftsbeihilfen für Ausrichtung und Garantien“ (OPEKEPE).
„Fairness und Transparenz“
Um Dampf aus dem Kessel zu lassen, hat die Regierung in dieser Woche beschlossen, die OPEKEPE aufzulösen. Eingegliedert werden soll deren Tätigkeitsbereich künftig in die Unabhängige Behörde für Öffentliche Einnahmen (AADE). Vollzogen werden soll der Übergang bis spätestens Sommer 2026. Während einer Sitzung des Ministerrates sprach Premierminister Kyriakos Mitsotakis am Mittwoch (28.5.) davon, dass die gesamte politische Welt der vergangenen Jahrzehnte Schuld an dieser Situation trage. Man sei dazu entschlossen, „im entscheidenden Bereich der Agrarsubventionen wieder für vollständige Fairness und Transparenz zu sorgen“. Ziel sei es, dass die Subventionen nicht verspätet eintreffen, aber auch dass jene Landwirte, denen sie zustehen, diese tatsächlich bekommen.
Olivenernte
„Organisiertes Betrugssystem“
Zuvor hatte die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) mit Sitz in Luxemburg eine Pressemitteilung veröffentlicht, bei der eine „laufende Untersuchung eines mutmaßlichen organisierten Betrugssystems im Zusammenhang mit Agrarfonds und Korruption“ beschrieben wird. Konkret sollen sich zwischen 2019 und 2022 „zahlreiche Personen als Junglandwirte oder neue Landwirte“ ausgegeben haben. Diese hätten „auf der Grundlage falscher Angaben Zahlungsansprüche“ aus Mitteln der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) geltend gemacht – und erhalten. Durch falsche Angaben sei demnach „der Anschein einer aktiven landwirtschaftlichen Tätigkeit“ entstanden, der nicht der Wirklichkeit entsprach. So etwa seien entgegen anderslautender Gegebenheiten „Eigentum oder die Pacht von förderungswürdigen Weideflächen“ deklariert worden. Bei einigen der geförderten Weideflächen soll es sich um öffentlichen Besitz handeln, der zuvor ausschließlich Viehzüchtern ohne privates Land zur Verfügung gestellt worden war. In vielen dieser Fälle befanden sich die Weiden „oft weit entfernt vom tatsächlichen Wohnort der Personen, die behaupteten, sie zu besitzen oder zu pachten“. Die Staatsanwaltschaft äußerte einen schwerwiegenden Verdacht: „Diese illegale Praxis könnte unter Beteiligung von Vorstandsmitgliedern und Beamten der OPEKEPE systematisch organisiert worden sein.“ Diesen werfen sie in der gleichen Pressemitteilung einen „Mangel an ehrlicher Zusammenarbeit“ vor.
Der OPEKEPE dementiert in einer Mitteilung die Vorwürfe der EUStA. Deren Mitarbeiter hätten den Ermittlern sehr wohl alle geforderten Unterlagen übergeben und seien an dem entsprechenden Tag aus diesem Grund zwischen 7.30 Uhr morgens bis 4 Uhr in der Nacht an ihrem Arbeitsplatz geblieben, um alle Informationen zu liefern.
Angaben der Tageszeitung Ta Nea zufolge soll die OPEKEPE derzeit über ein Personal von 700 Beamten verfügen; künftig soll sie mit 200 weiteren Mitarbeitern verstärkt werden; die Agentur galt als chronisch unterbesetzt.
Opfer des Schattenstaates
Der Vizepräsident der Regierung Kostis Chatzidakis kommentierte, dass man sich mit dem „tiefen Staat und der Bürokratie“ auseinandersetzen müsse. Ansonsten werde man selbst „das Opfer“. Das Vorgehen der OPEKEPE sei ein Beispiel dafür, wie der „Schattenstaat“ funktioniere.
Der Minister für Agrarentwicklung und Lebensmittel Kostas Tsiaras forderte „vollkommene Transparenz“ und sprach von einer „neuen Ära für die OPEKEPE“. Sollten Personen tatsächlich unberechtigt Geld erhalten haben, so müsse dies zurückgezahlt werden. Allerdings gab der Minister auch zu bedenken, dass die OPEKEPE von der Europäischen Kommission zertifiziert worden sei. Jährlich würden von ihr mehr als drei Milliarden Euro verteilt. Bis zu 2,4 Milliarden würden an 680.000 verschiedene Steuernummern ausgezahlt, so Tsiaras.
Aus den Reihen der größten Oppositionspartei PASOK warf der Vorsitzende Nikos Androulakis der Regierung vor, Griechenland auf europäischer Ebene zu diskreditieren. Aus dem Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA) war die Rede von einem „Skandal zu Lasten der griechischen Viehzüchter in Höhe von 170 Millionen Euro“.
Vorwürfe der Staatsanwaltschaft
Die Leiterin der Europäischen Staatsanwaltschaft Laura Kövesi sprach in einem Interview gegenüber Politico.eu von „Angriffen“ und „Einschüchterungen“ gegen ihre Kollegen. In den OPEKEPE-Büros sei es zu „dramatischen Szenen“ und „physischem Widerstand“ gegen Mitarbeiter der EUStA gekommen.
Den bisherigen Erkenntnissen zufolge sollen Bürger EU-Agrarmittel für Weideland erhalten haben, das ihnen „weder gehörte noch das sie gepachtet hatten“. Das gleiche gelte für „landwirtschaftliche Arbeiten, die sie nie durchgeführt hatten“. Das Resultat sei, dass „den echten Landwirten das Geld vorenthalten wurde, das ihnen zustand“. Kövesi fragt sich dabei: „Gab es organisierten Agrarsubventionsbetrug und Korruption, ja oder nein?“
Als Sofortmaßnahme wurde der Vorsitzende der OPEKEPE, Nikolaos Salatas, abgelöst; es war die sechste Entlassung innerhalb von fünf Jahren. Bereits in der Vergangenheit war auf ähnliche Missstände bei dieser Agentur aufmerksam gemacht worden.
Im Jahr 2024 musste Griechenland Strafen an die Kommission in Höhe von 281 Millionen Euro für von der OPEKEPE gewährte finanzielle Zuschüsse zahlen. Diese betrafen den Zeitraum 2020 bis 2022.
Schäfer mit Herde
Bizarre Einzelfälle?
Im Jahr 2019 etwa hatten zwei Personen aus Kreta Subventionen für die Pacht von Land auf der Insel Tzia (Kea), die in der Nähe von Attika liegt, zur Nutzung als Weideland eingereicht; als Eigentümer waren Mitbürger aus Rethymnon angegeben worden. Die Täter hatten auf diese Weise rund 73.000 Euro aus EU-Mitteln bekommen. Im nächsten Jahr haben zwei weitere Kreter die gleiche Landfläche gepachtet; als Besitzer wurden nun andere Personen angegeben. – Begünstigt worden waren derartige Fälle durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2017, wonach die Definition des Weidelandes erweitert worden war.
Der frühere OPEKEPE-Chef Grigoris Varras schätzte den Fall als dubios ein und schloss „Mittäterschaft“ nicht aus. Kurze Zeit später musste er seinen Posten räumen.
Zuschüsse soll es weiterhin für Olivenproduktion in Gegenden gegeben haben, in denen nachweislich keine Olivenbäume mehr wachsen; etwa im Gebirge auf 1.800 Metern Höhe. Fördermittel gab es außerdem in 34 Fällen sogar für Grundstücke, die im Ausland liegen – davon betroffen war etwa auch die Republik Nordmakedonien, die nicht einmal Teil der EU ist. Insgesamt werden derzeit 70 derartige Fälle von der griechischen Justiz untersucht.
Einige Beobachter prognostizierten „einen bevorstehenden politischen Sturm“ – mit unabsehbaren Konsequenzen. (Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)