Lauwarme oder kalte Speisen mögen für manche gewöhnungsbedürftig sein. In Griechenland aber herrschen andere Sitten, vor allem andere Temperaturen. Zur heißen Sommerzeit, wenn Flaschenwasser sich im Zimmer erwärmt und die Schokolade schmilzt, nimmt eine kalte Küche ihren eigenen Stellenwert ein.
Auf der Platia gibt ein Engländer sein Moussaka in leicht beleidigtem Tonfall in der Taverne zurück: „This is not hot!“ – „Das ist nicht heiß!“ Es ist Mittagszeit, die Sonne steht im Zenit, allein beim Atmen läuft einem der Schweiß die Schläfen hinunter. „Το θέλει ζεστό“ – „Er will es heiß!“, sagt Marina, als sie mit dem Moussaka an unserem Tisch vorbeikommt. ,Wie ein Mensch bei dieser Hitze Heißes essen kann!ʻ, drücken ihre hochgezogenen Augenbrauen zu unserer Belustigung aus. Selbst im Winter besteht die Tendenz, die zubereiteten Gerichte eher bei Zimmertemperatur als heiß zu essen. Wenn ich meine Freunde bewirte, bleibt die Suppe unberührt, bis sie abgekühlt ist. Auch die Gemüse-, Fleisch- oder Fischgerichte werden gern lauwarm, keineswegs aber dampfend heiß verspeist. Sei es hier im Bergdorf am Ionischen Meer oder in anderen griechischen Regionen: Die Hausfrauen pflegen das Essen für den anstehenden Tag meist in den frühen Morgenstunden zuzubereiten, weil es zur Mittagsstunde zu heiß ist. Stamata, meine 77-jährige Nachbarin, stellt das Essen nach der Zubereitung in der Speisekammer ab. Oft sehe ich sie frühmorgens vor sechs Uhr, bevor es rundum hell wird, etwas höher auf dem Berg im Hof sitzen. Sie schält Kartoffeln, nimmt Fisch aus oder knetet, wie heute Morgen, etwas in einer roten Plastikschüssel. Unserem morgendlichen Ritual zufolge rufe ich den Berg hoch: „Τι μαγειρεύετε?“ – „Κεφτεδάκια με σάλτσα ντομάτας“, ruft sie den Berg runter, „μελιτζάνες τηγανητές!“ – „Fleischbällchen in Tomatensauce“ – „gebratene Auberginenscheiben“. Schließlich reden die Griechen liebend gern und ausführlich darüber, was sie gegessen haben oder wie sie ein Gericht auf ihre einzigartig köstliche Hausmacherart zubereiten. Stamata gibt reichlich Olivenöl auf die ohnehin in reichlich Öl angebratenen Auberginenscheiben drauf, dazu Salz und viel Zitronensaft. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Mann und dem als Junggeselle verbliebenen Onkel Giorgos unter einem Dach. „Die Beiden lecken das letzte Tröpfchen Öl vom Teller“, behauptet sie, und dass sie die Teller so in den Schrank zurück stellt. Nach dem Kochen und Braten löffelt und kippt Stamata die fertigen Speisen auf Teller, die sie mit einem Deckel, Küchentuch oder mit einem zweiten Teller abdeckt und bis zum Mittagessen in der erstaunlich kühlen Kammer auf Regalen abstellt. Sie hat immer etwas zum Essen vorrätig, für die beiden Männer und für ihre zwei erwachsenen Töchter, die oft mit den Enkelkindern vorbeikommen. Hier wird nicht lange rumgetan und aufgewärmt, hier kommen die Gerichte, wie die heutigen Fleischbällchen und Auberginenscheiben, von der Speisekammer oder vom Kühlschrank auf den Tisch. Fleisch- und Fischgerichte hingegen werden oft erst kurz vor dem Verzehr zubereitet, doch es ist keineswegs unüblich, auch diese fertig und lauwarm zu verspeisen. Die stets paraten gekochten Gerichte bezeichnet man als έτοιμα φαγητά / étima fagitá. In touristischen Gegenden hingegen wird das Essen für Besucher gern aufgewärmt oder frisch zubereitet, was man als της ώρας / tis óras bezeichnet. Zu lauwarm aufgetischten Speisen und kühl serviertem Tzatziki oder Skordalia sind eisgekühlte Getränke die Kirschen auf dem Kuchen. Denn zur heißen Sommerzeit geht nichts über ein eiskaltes Bier in einem frostbeschlagenen Glas, über ein Gläschen Weißwein mit klirrenden Eiswürfeln. Und wird in kälteren Ländern mit dem Ausdruck „kalter Kaffee“ etwas als passé und überholt verpönt, hier in Griechenland wird dem Genuss kalten Kaffees regelrecht gefrönt! Denn bei dieser Hitze kommen uns die Frappés und cremigen Eiskaffees wie gerufen! (Griechenland Zeitung / Linda Graf)