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Tsipras in Ankara und am Bosporus: Vom Konsens weit entfernt Tagesthema

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Fotos (© Pressebüro des Premierministers / Andrea Bonetti) Fotos (© Pressebüro des Premierministers / Andrea Bonetti)

Griechenland will die Beziehungen zur Türkei intensivieren. Am Dienstag und Mittwoch stattete Premier Tsipras dem Nachbarland einen offiziellen Besuch ab. Lösungen für die seit Jahrzehnten anhaltenden Differenzen sind allerdings noch nicht in Sicht. Es war eher eine Begegnung des Abtastens.

Es sollte ein Gespräch über sämtliche bilateralen Themen werden; so war es angekündigt. Das Treffen zwischen Ministerpräsident Alexis Tsipras und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara hat schließlich auch mehr als zwei Stunden gedauert. Thematisiert worden sind die Flüchtlingskrise, die Zypernfrage, die Auslieferung von acht türkischen Offizieren, die in Hellas Asyl erhalten haben, Handelskooperationen, die muslimische Minderheit in der nordgriechischen Region Thrakien und die Wiedereröffnung des orthodoxen Priesterseminars auf der Prinzeninsel Chalki.

Fähr- und Zugverbindungen
Tsipras und Erdogan sind sich darin einig gewesen, dass bereits im kommenden Sommer eine Fährverbindung zwischen Izmir an der Kleinasiatischen Küste und der zweitgrößten Stadt Griechenlands, der nordgriechischen Metropole Thessaloniki, eingeweiht werden soll. Zu einem späteren Zeitpunkt soll dann Thessaloniki noch per Eisenbahn mit Istanbul verbunden werden.
Zur Sprache gekommen ist auch die Flüchtlingskrise. Tsipras forderte in dieser Frage an die EU gewandt mehr Unterstützung für Ankara. In der Türkei leben derzeit vier Millionen Asylsuchende. Tsipras stellte fest, dass Ankara eine „sehr große Last auf sich genommen“ habe. Der EU-Türkei-Parkt, an dem sich auch Griechenland beteiligt, sieht vor, dass Immigranten, die tatsächlich ein Recht auf internationales Asyl haben, in einem der EU-Länder aufgenommen werden müssen. Andere Immigranten werden entweder repatriiert oder zurück in die Türkei gebracht. Bisher habe Ankara 35 Milliarden Dollar ausgegeben, um diese Aufgabe zu bewältigen, stellte die türkische Seite fest. Erdogan drängte erneut auf eine ihm zugesprochene finanzielle Unterstützung seitens der EU.

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Schwierige Differenzen beseitigen
Griechenland und die Türkei teilen sich eine Grenze an der Ägäis sowie auf dem nordöstlichen griechischen Festland. Die beiden Länder haben eine schwierige Vergangenheit, die nicht zuletzt von Kriegen gekennzeichnet war. Im Dezember 2017 hatte Erdogan Athen und Thrakien einen offiziellen Besuch abgestattet; den ersten eines türkischen Präsidenten nach 65 Jahren. Tsipras ist im Amt des griechischen Ministerpräsidenten nun bereits zum fünften Mal in der Türkei gewesen. Auch dieses Mal sollte es ein einfaches Arbeitstreffen in Istanbul werden, das letztlich jedoch den Charakter eines offiziellen Besuches bekam.
Am Rande der Begegnung wurde auch die Lösung der Zypernfrage angesprochen. Die Insel ist seit 1974 in einen türkischsprachigen Nordteil und den griechischsprachigen Süden geteilt. Athen fordert, dass die im Norden stationierten türkischen Besatzungstruppen den Inselstaat verlassen müssen. Ankara hat eine andere Sicht auf die Dinge. Tsipras und Erdogan einigten sich am Dienstag darauf, dass die Außenminister der beiden Länder schon bald Vorbereitungstreffen durchführen werden, um einer Lösung näher zu kommen.

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700.000 Euro Kopfgeld für Offiziere
Ein eher schlechtes Signal für den offiziellen Ankara-Besuch von Tsipras war es, dass die Türkei kurz zuvor eine Liste mit 74 Personen veröffentlicht hat, auf die ein Kopfgeld ausgesetzt worden ist. Ganz oben stehen acht Offiziere, die in Athen Asyl erhalten haben: Das Landeshöchstgericht, der Areopag, hat deren Auslieferung ausdrücklich verboten. Für Ankara ist dieses Thema ein Rotes Tuch. In scharfem Ton hat Erdogan an Tsipras appelliert, dass Athen keine „Terroristen“ beherbergen dürfe. Die Acht waren im Sommer 2016 nach einem gescheiterten Putschversuch mit einem Militärhubschrauber ins Nachbarland Griechenland geflohen. – Die türkische Justiz wirft ihnen vor, sich angeblich der Gülen-Bewegung angeschlossen zu haben. Die Höhe des Kopfgeldes wurde für jeden dieser Offiziere auf 700.000 Euro festgesetzt.
Derzeit halten sie sich unter strengem Polizeischutz an einem unbekannten Ort im Norden Athens auf. Die griechische Seite befürchtet, dass man die Acht kidnappen könnte. Tsipras wiederholte seine Auffassung, dass Griechenland ein Rechtstaat sei und dass er nicht gegen eine Entscheidung des Höchstgerichtes seines Landes verstoßen könne.

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Muslime in Thrakien – Orthodoxe am Bosporus
Ebenfalls wenig einvernehmlich gestaltete sich das Gespräch der beiden Spitzenpolitiker über die Wiedereröffnung des orthodoxen Priesterseminars auf der Prinzeninsel Chalki, wie sie von Athen gefordert wird. Diese orthodoxe Bildungseinrichtung wurde auf Betreiben der türkischen Regierung im Jahre 1971 geschlossen. Erdogan zeigte sich zwar nicht abgeneigt. Im Gegenzug forderte er jedoch, dass die muslimische Minderheit in der nordgriechischen Region Thrakien ihren Mufti künftig selbst wählen darf. Athen fürchtet bei einem solchen Szenario, dass die Türkei noch größeren Einfluss auf die türkischstämmigen Griechen, aber auch auf Pomaken und Roma gewinnen könnte, die in dieser Region leben. Bisher sind in den Moscheen in Thrakien stets zwei Muftis aktiv: ein legaler, der vom griechischen Staat eingesetzt wird, und ein nicht bevollmächtigter, der von der Gemeinde ausgesucht wird.

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Respekt vor der Religionsfreiheit
Am Dienstagabend hatte Erdogan sowohl Tsipras als auch den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus, zu einem Festbankett eingeladen. Am Mittwoch reiste Tsipras schließlich weiter nach Istanbul. Hier befindet sich der Amtssitz von Bartholomäus. In der Stadt am Bosporus hat Tsipras u. a. auch die Hagia Sophia besucht. Danach ging es gemeinsam mit dem Patriarchen weiter auf die Prinzeninsel Chalki. Dort sprach er sich für die Respektierung der Religionsfreiheit aus. Anschließend stand ein internes Gespräch mit Bartholomäus auf dem Programm. Vor allem geht es um die von Tsipras geplante Trennung von Staat und Kirche in Griechenland sowie um die künftige Bezahlung der orthodoxen Kleriker; bisher war das Aufgabe des Staates. Die Türkei-Reise wird der griechische Premier mit einem Treffen mit Mitgliedern der griechischen Gemeinde am Bosporus beenden.
Die griechische Opposition kritisierte den offiziellen Besuch von Tsipras in der Türkei als „schlecht vorbereitet“. Der Vorsitzende der konservativen Nea Dimokratia Kyriakos Mitsotakis stellte fest, dass die griechische Regierung „eine große Verantwortung“ auf sich nehme, der sie sich nicht gewachsen zeige.

Elisa Hübel

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