Nachdem am Sonntag (29.1.) zehntausende Menschen demonstriert haben, um Antworten über die Ursachen eines tödlichen Zugunglücks in Nordgriechenland zu erhalten, das sich vor knapp zwei Jahren ereignete, sah sich Premierminister Mitsotakis dazu veranlasst, ein Interview zu geben. Doch die Öffentlichkeit gibt sich damit nicht zufrieden.
Das wichtigste innenpolitische Thema, das derzeit die griechische Öffentlichkeit beherrscht, ist ein Eisenbahnunglück, das sich vor knapp zwei Jahren in der Nähe von Tempi ereignet hatte. Dabei kamen 57 Menschen zu Tode. Am Sonntag (26.1.) fanden nicht nur in vielen Teilen Griechenlands, sondern auch vielerorts im Ausland, Erinnerungskundgebungen statt. Daran beteiligten sich zigtausende Menschen, Griechenlands Opposition spricht gar von hunderttausenden Demonstranten. Hauptanliegen der Protestler: Die Verantwortlichen des Unglücks sollen zur Rechenschaft gezogen und die tatsächliche Ursache des Desasters der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.
Untermauert wird dieses Anliegen, nachdem es Hinweise dafür gibt, dass der Güterzug, der damals mit einem Intercity frontal kollidierte, explosive Stoffe transportiert haben könnte – ohne dass das in den Frachtbriefen ausgewiesen wurde. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatte eine solche Eventualität kurz nach dem Bahnunglück entschieden dementiert, nun relativiert er seine Einschätzung von damals.
Das Interview mit Mitsotakis
Um der Öffentlichkeit seine veränderte Perspektive zu präsentieren, sah sich Mitsotakis am Mittwoch (29.1.) dazu veranlasst dem Fernsehsender Alpha ein Interview zu geben. Darin beschrieb er das Zugunglück von Tempi als eine „offene Wunde, ein kollektives Trauma und eine kollektive Trauer“ der griechischen Bevölkerung. Auf jeden Fall wolle man die Wahrheit erfahren, über das, „was tatsächlich geschehen ist“. Und man wolle, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Ziel seiner Regierung sei es, dass Griechenland über eine sicherere Eisenbahn mit europäischen Sicherheitsstandards verfüge. In diesem Zusammenhang gab der Premier zu, dass Gerechtigkeit und Wahrheitsfindung „langsam“ voranschreiten und dass Hellas seit Jahren ein Problem beim Bahnverkehr habe. Was sein ursprüngliches Statement angeht, wonach der Güterzug keine chemischen bzw. explosiven Materialien transportiert haben soll, so verwies Mitsotakis auf Daten, die er von der Griechischen Bahn und der Feuerwehr bekommen habe. Nun stellte er fest: „Was damals als unwahrscheinliches Szenario erschien, könnte letztendlich möglich sein.“ Die Verantwortung liege jedoch bei dem Unternehmen Hellenic Train, das den Bahnverkehr auf dem Netz der Griechischen Eisenbahn betreibt.
„In guter Absicht“
Zur Sprache kamen außerdem Videomaterial, das bei den Ermittlungen verschwunden war sowie auch schnelle Eingriffe am Unfallort, wobei möglicherweise Spuren chemischer Substanzen entfernt worden sind. Nach Ansicht des Premiers sei dies geschehen, damit die sterblichen Überreste der Verstorbenen besser geborgen werden konnten. Er stellte fest: „Aber ich bin sicher, dass alles in guter Absicht geschah. Und der Zweck bestand in diesem Moment nicht darin, etwas zu vertuschen.“ Außerdem erklärte er, dass unter seiner Regierung die Verfassung geändert wurde, damit gewissen Straftaten nicht schnell verjähren. Außerdem erinnerte er daran, dass viele Personen vor Gericht unter Anklage gestellt wurden. Nach dem Verstreichen einer 18-monatigen Frist mussten diese per Gesetz aus der Untersuchungshaft entlassen werden.
Reaktionen auf Interview
In der griechischen Presse wurde das Mitsotakis-Interview als Versuch einer „Schadenbegrenzung“ bewertet. Er sei darum bemüht gewesen, sein persönliches Profil zu wahren und sich einer möglichen Verantwortung zu entziehen. Die Eventualität, vom Posten des Regierungschefs zurückzutreten, schloss er mit seinen Ausführungen aus.
Aus den Reihen der größten Oppositionspartei PASOK wurde kritisiert, dass Mitsotakis „allen Verantwortlichkeit zugewiesen“ habe – außer sich selbst. Außerdem fragte man sich, wann der Premier darüber im Bilde war, dass sein Statement, wonach der Güterzug keine chemischen Stoffe transportiert habe, nicht der Wahrheit entspricht. Aus den Reihen des Linksbündnisses SYRIZA war die Rede von einem „inkompetenten Regierungschef“, der zugegeben habe, dass die „Beweise auf ein Verbrechen“ am Unfallort, „zerstört wurden“. Bei der kommunistischen KKE war man sich darin einig, dass Mitsotakis das Interview „angesichts der öffentlichen Empörung und der Massenmobilisierung im Zusammenhang mit dem Tempi-Verbrechen und den entsprechenden Vertuschungsversuchen“ gegeben habe.
Unterdessen veröffentlichte das Bahnunternehmen Hellenic Train am Donnerstag (30.1.) eine Mitteilung, wonach der Güterzug 63503, der Ende Februar 2023 auf den Passagierzug aufgeprallt war, mit dreizehn Waggons unterwegs war. Die ersten drei, die entgleist waren, hatten demnach „breite gewalzte Eisenprodukte (Blech)“ geladen. Die Züge 4 bis 7 hatten Präparate für Lebensmittel, die Wagen 8 und 9 Bier und die Wagen 10 und 11 hatten Eisendrähte transportiert. Die letzten beiden Güterwagen des Zugs waren demnach ohne Ladung unterwegs. (Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)