Ein Zugunglück, das vor zwei Jahren 57 Menschen das Leben gekostet hat, bringt die Regierung in Bedrängnis. Nach massenhaften Protesten, die am vorigen Freitag stattfanden, sind weitere Demonstrationen geplant. Im Parlament wird über ein Misstrauensvotum und die Einberufung einer Untersuchungskommission debattiert.
In Erinnerung an ein tödliches Zugunglück, das sich vor zwei Jahren bei Tempi in Thessalien ereignete, kommt es am heutigen Mittwoch (5.3.) in mehreren Städten Griechenlands erneut zu Demonstrationen. 57 Menschen hatten damals ihr Leben verloren. Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou beschrieb das Zugunglück als eine „schwarze Seite in unserer Geschichte“. Sie fügte hinzu: „Der Schmerz und die Wut über die verlorenen Leben berühren die gesamte Gesellschaft.“
Zu den jüngsten Protesten haben außer Gewerkschaften etwa auch Eltern- und Hinterbliebenenverbände aufgerufen; im Unglückszug befanden sich viele Studenten, die in Thessaloniki studierten. Die Demos werden etwa in Athen vor dem Parlament, aber auch in vielen weiteren Städten durchgeführt: so in Thessaloniki, Tripolis, Kalamata, Sparti, Chania, Korinthos, Nafplion, Patras, Larissa, Agrinio, Alexandria, Arta, Korfu, Mytilini, Naoussa, Veria, Zakynthos, Karditsa und Igoumenitsa.
Demo vor dem Parlament in Athen
Denkmal: „Baum der Seelen“
Am Montag dieser Woche (3.3.) wurde in Athen ein Mahnmal für die 57 Todesopfer von Tempi eingeweiht. Es handelt sich um den sogenannten „Baum der Seelen“, der in der Einmündung der Straßen Piräos und Ermou, gegenüber des Kulturparks Technopolis, aufgestellt wurde. Bürgermeister Charis Doukas sprach von einem „neuen Weg der Hoffnung für die Gesellschaft“. Die anwesenden Familienmitglieder der Verstorbenen benutzten hingegen Wörter wie „Verbrechen“ und „Mord“. Sie wiesen darauf hin, dass es sich nicht um eine „Tragödie“ handle.
Bereits am vergangenen Freitag (28.2.) hatten im ganzen Land sowie in vielen Städten des Auslands Proteste stattgefunden. Insgesamt gingen mindestens eine Million Demonstranten auf die Straßen; allein in Athen wurden 427.000 gezählt. Mit diesen Kundgebungen wird das Ziel verfolgt, dass die Verantwortlichen des Bahnunglücks zur Rechenschaft gezogen werden. Auch eine Erhöhung der Sicherheit im öffentlichen Personenverkehr wird gefordert.
Demo in Patras auf der Peloponnes
Verwischung von Spuren?
Am Dienstag wurde die Einberufung einer parlamentarischen Untersuchungskommission beschlossen. Dabei soll herausgefunden werden, ob dem damaligen Staatssekretär beim Premierminister Christos Triantopoulos Verantwortung zugewiesen werden kann. Dafür gestimmt haben 277 der 300 Abgeordneten. Aufgeklärt werden soll vor allem, warum der Unfallort mit großer Eile aufgeschüttet worden war. Nach Meinung der Opposition seien dadurch ganz bewusst wichtige Spuren verwischt worden, die Hinweise auf ein Verbrechen hätten liefern können. Damit die Arbeit der Untersuchungskommission nicht behindert wird, hatte Triantopoulos bereits Anfang Februar sein jetziges Regierungsamt als Staatssekretär im Ministerium für Klimakrise und Zivilschutz abgegeben. Die Zeit für die Ermittlungen der Untersuchungskommission wurde zunächst auf zwei Monate festgelegt; es besteht die Möglichkeit einer einmonatigen Verlängerung.
Vertreter der konservativen Regierungspartei ND warfen der Opposition unterdessen vor, das Zugunglück von Tempi für politische Zwecke auszunutzen. Premierminister Mitsotakis rief dazu auf, diesen Unfall nicht zu vergessen, jedoch wolle man das auch nicht erneut erleben.
Demo auf der Insel Lesbos
Misstrauensvotum
Aus der größten Oppositionspartei des Landes PASOK wurde betont, dass die Bürger „nicht gegen die Gerechtigkeit, sondern dafür“ auf die Straße gegangen seien. Demnach sei bei 70 % der Bürger das Vertrauen in die Institutionen erschüttert. In den Vordergrund rückte auch die große Beteiligung an den Protesten am vorigen Freitag im Ausland. Als Beispiel erinnerte man bei der PASOK etwa an die österreichische Hauptstadt Wien, wo sich immerhin 700 Menschen zu einer Kundgebung eingefunden hatten, um an das „Tempi-Unglück“ zu erinnern.
Das Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA) wirft Premierminister Mitsotakis vor, dass er zugegeben habe, dass die Bahn in Griechenland nicht sicher sei. Außerdem habe er „Gleichgültigkeit und Inkompetenz“ seiner Regierung eingestanden.
Unterdessen wollen vier Parteien der Opposition am Mittwoch im Parlament ein Misstrauensvotum gegen die Regierung einbringen. Daran beteiligen sich die PASOK, SYRIZA, Nea Aristera und Plevsi Eleftherias. Weitere Oppositionsparteien stimmen konkreten Formulierungen dieses Misstrauensantrags nicht zu. Sie vertreten die Ansicht, dass sich das zu Gunsten der konservativen Regierungspartei ND entwickeln werde. (Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)