Die politische Landschaft in Griechenland könnte sich weiter zersplittern; tendenziell bewerben sich immer mehr Parteien um die Gunst der Wähler. Nach dem jüngsten Ausschluss der faschistischen Fraktion der Spartiates sind immerhin noch acht Parteien in der Vouli, dem Parlament, vertreten.
In letzter Zeit war wiederholt zu hören, dass die ehemaligen Ministerpräsidenten und Ex-Parteichefs Alexis Tsipras (Bündnis der Radikalen Linken: SYRIZA) und Antonis Samaras (Nea Dimokratia: ND) mit – noch zu gründenden – eigenen Parteien in die Volksvertretung einziehen möchten. Sie selbst haben sich zu diesem Thema nicht klar geäußert – eine solche Option wurde von ihnen aber auch nicht dementiert. Sprich: Sie halten sich diese Karte offen.
Wähler auf Orientierungssuche
Abgesehen von der Tatsache, dass die regierende ND weiterhin stärkste politische Kraft des Landes ist, sind offenbar viele Wähler auf der Suche nach einer für sie geeigneten Partei, von der sie glauben, dass diese ihren Wünschen und Hoffnungen künftig gerecht werden könnte.
Der regierenden ND scheint diese Orientierungssuche nur bedingt Abbruch zu tun: Sie liegt immer noch auf dem ersten Platz in der Wählergunst. Würde zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Urnengang stattfinden, käme die ND laut einer Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Interview auf 24,1 % der Stimmen. Die sozialdemokratische PASOK würde demnach mit 12 % zweitstärkste Kraft. Auf Platz drei käme die rechtspopulistische Elliniki Lysi (Griechische Lösung: 8,9 %). Ebenfalls einen Platz im Parlament könnten auch die Plevsi Eleftherias (Kurs der Freiheit: 8,2 %), die kommunistische KKE (7,1 %), SYRIZA (3,6 %), die Bewegung der Demokratie des Ex-SYRIZA-Vorsitzenden Stefanos Kasselakis (3,2 %) und die Partei MeRA25 des Ex-Finanzministers Janis Varoufakis (3 %) erhalten. Der Einzug in die Volksvertretung – Sperrklausel von drei Prozent – bliebe folgenden Parteien verwehrt: Foni tis Logikis (Stimme der Logik: 2,7 %); Niki (Sieg: 2,6 %); Nea Aristera (Neue Linke: 2,1 %) und die faschistischen Spartiates (Spartaner: 1,5 %).
In der Frage, wem man als Regierungschef das größte Vertrauen schenken könne, liegt der amtierende Premier Kyriakos Mitsotakis (ND) mit 28 % an erster Stelle; auf Platz zwei folgt die Option „Niemandem“.
Mischt Tsipras bald wieder mit?
Allerdings sind Umfragen bekanntlich stets mit Vorbehalten zu betrachten; entscheidend ist das Ergebnis, das schließlich am Tag der Wahl an den Urnen zustande kommt – und hier hat es in der Vergangenheit immer wieder auch Überraschungen gegeben.
Das nun eventuell Tsipras wieder mit ins Spiel kommen könnte, macht es den Meinungsforschern nicht unbedingt einfacher: Der Ex-Premier aus dem linken politischen Lager ist im Moment noch eine unbekannte Größe. Laut ersten Erkenntnissen von Interview würden acht von zehn Teilnehmern Tsipras zwar nicht ihre Stimme geben. Immerhin 15 % erklärten jedoch, dass man eine neue politische Formation unter diesem unterstützen würde. Weitere 4 % sind in dieser Frage unentschlossen, 1 % antwortete mit der Option „Ich weiß nicht / antworte nicht“. Gewisse Chancen könnte sich auch der rechtskonservative Ex-Premier Samaras ausrechnen: Zwar würde er von 85 % nicht gewählt werden – aber es verbleibt noch genügend Potenzial, um eine solche Option nicht auszuschließen.
Dass Samaras als damaliger Regierungschef mitverantwortlich für die desolate Lage in Griechenland von 2012 bis Anfang 2015 war, dürften einige der Wähler verdrängt haben. Doch auch Tsipras ist nicht unvorbelastet. Er regierte das Land nach Samaras ab Januar 2015 bis 2019: In dieser Zeit wurden weitere einschneidende Sparmaßnahmen mit den internationalen Geldgebern verabschiedet; nicht zu vergessen die Schließung der Banken und Kapitalkontrollen.
(Griechenland Zeitung / Jan Hübel)