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Schlappe für Regierungspartei SYRIZA bei Europawahlen Tagesthema

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Unser Foto (© Eurokinissi) zeigt Ministerpräsident Alexis Tsipras am Wahlabend. Unser Foto (© Eurokinissi) zeigt Ministerpräsident Alexis Tsipras am Wahlabend.

Die Europawahlen bescherten Ministerpräsident Tsipras und seinem Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA) eine herbe Niederlage. Er kam bei den Europawahlen am Sonntag mit einem Rückstand von fast zehn Prozentpunkten hinter der konservativen Nea Dimokratia durchs Ziel. Als Konsequenz kündigte er Neuwahlen an.

Die Europawahlen am Sonntag bescherten dem regierenden Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA) eine schwere Niederlage. Nach Auszählung von etwa 85 % der Stimmen erhielt die konservative Nea Dimokratia 33,24 %. Bekannt gegeben wurden diese Ergebnisse am Montagnachmittag. SYRIZA folgt mit einem Abstand von fast zehn Prozentpunkten (23,77 %). Die sozialistische Bewegung der Veränderung (KinAl) kam klar auf den dritten Platz (7,65 %), gefolgt von der kommunistischen KKE (5,46 %), der faschistischen Chryssi Avgi (4,85 %) und der Griechischen Lösung (4,13 %). Einzug ins Europaparlament dürfte dem Stand der Dinge zufolge auch die Partei des einstigen Finanzministers Janis Varoufakis mit Mera25 halten. Allerdings scheint es für ihn und seine Genossen bis zum letzten Moment der endgültigen Stimmauszählung noch eine Zitterpartie zu sein. Den vorläufigen Ergebnissen zufolge erhielt MeRA25 3,02 %. – Für andere Parteien votierten 17,89 % der Bürger.

Tsipras zieht die Konsequenzen

Als Konsequenz für die Niederlage, die sich auch bei den gleichzeitig stattgefundenen Kommunal-, Gemeinde- und Regionalwahlen andeutet – die Stichwahlen finden am kommenden Sonntag (2.6.) statt – zog Premier Tsipras die Konsequenzen und forderte einen „klaren Wählerauftrag“, sprich: Parlamentswahlen. Offiziell endet seine Legislaturperiode erst im Oktober. Kurz vor Mitternacht war er an die Öffentlichkeit getreten und hatte eingeräumt, dass das Ergebnis des Urnengangs den Hoffnungen seiner Partei „nicht entspricht“, folglich könne man es auch „nicht ignorieren“. Nicht zuletzt habe die Opposition die Möglichkeit bekommen, den von SYRIZA eingeschlagenen Regierungskurs zur Beendigung der Krise in Zweifel zu ziehen. Nach den Stichwahlen der Kommunal-, Gemeinde- und Regionalwahlen am kommenden Sonntag wolle er den Staatspräsidenten konsultieren, um das Parlament aufzulösen und einen vorverlegten Urnengang in die Wege zu leiten. Als Termin nannte er den 23. oder den 30. Juni. Beobachter halten auch den 7. Juli für möglich.

Opposition forderte den Rücktritt

Zuvor hatte Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis (ND) gefordert: „Der Ministerpräsident muss die Verantwortung übernehmen und zurücktreten“, damit so schnell wie möglich eine neue Volksvertretung gewählt werden könne. Außerdem sprach er von einem „historischen Sieg“. In der Zeit seit dem Sturz der Diktatur (1974) habe es kein vergleichbares Wahlergebnis gegeben. Gleichzeitig gab sich der Konservative bereits staatsmännisch. Griechenland sehe keinen Feiern entgegen, sondern man müsse „harte Arbeit“ erledigen. Außerdem sprach er von einer „patriotischen Verpflichtung“, die er wahrnehmen müsse.
Aus der ND-Parteizentrale hieß es, dass die griechischen Wähler der Regierung die Lösung gezeigt hätten. Nun werde man den Weg in ein „helles Griechenland“ ebnen, so die etwas pathetisch formulierte Zielsetzung.
Grund zur Freude gab es auch bei der sozialistischen „Bewegung der Veränderung“ (KinAl). Sie erreichte ihr gestecktes Ziel, sich als drittstärkste Partei zu platzieren. Sie zieht damit voraussichtlich mit zwei Abgeordneten ins Europaparlament ein. Die kurz vor dem Urnengang von der Parteizentrale geschürten Erwartungen, dass man eventuell ein zweistelliges Ergebnis erzielen könnte, wurden allerdings nicht erfüllt.

Faschisten an den Rand gedrängt

Angesichts der Wahlergebnisse streichen Beobachter nicht nur den Sieg der Konservativen heraus. Vor allem auch die Tatsache, dass die faschistische CA etwa die Hälfte ihrer Wählerschaft einbüßte und damit nur auf Platz fünf kam, findet allgemein Beachtung. Das gilt nicht nur als großer Erfolg für alle demokratischen Kräfte des Landes, sondern auch für jene in ganz Europa.
Für gewisses Aufsehen sorgte die Griechische Lösung (EL) von Kyriakos Velopoulos, der mehr als 4 % erhielt und damit ins Europäische Parlament einzieht. Er vertritt rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen, und er dürfte damit auch dazu beigetragen haben, dass die CA schließlich ein schlechtes Ergebnis erzielte: Velopoulos war auch in diesem politischen Spektrum auf Stimmenfang gegangen. Vor allem in den meisten nördlichen Landesteilen konnte er mächtig punkten, hier wiederum besonders in Serres und Drama. Quittiert wurde damit offenbar der von Tsipras unter Dach und Fach gebrachte Vertrag zur Lösung der Namensfrage der „Republik Nordmazedonien“. In Nordgriechenland empfanden das viele Bürger als klaren Affront und gaben in der Folge ihre Stimme der Griechischen Lösung.
Was Tsipras betrifft, so konnte er mit finanziellen Zugeständnissen, die er im letzten Moment durchs Parlament gebracht hatte – wie etwa die Auszahlung einer 13. Rente oder Steuersenkungen – nicht punkten. Offenbar bekam er mit dem Wahlergebnis die Quittung dafür, dass die Arbeitslosigkeit mit 18,5 % noch immer extrem hoch, das wirtschaftliche Wachstum dafür niedrig ist.
Bei analytischer Betrachtung der Dinge gilt es als relativ wahrscheinlich, dass Mitsotakis auch die Parlamentswahlen gewinnt, möglicherweise sogar mit deutlichem Abstand. Ob er das mit einer absoluten Mehrheit bewerkstelligen kann, bleibt abzuwarten. Wenn nicht, könnten langwierige Koalitionsverhandlungen die Folge sein.

Kleinere Parteien blieben außen vor

Angesichts der jüngsten Ergebnisse könnte es bei den nun anstehenden Parlamentswahlen eine deutliche Veränderung in der Parteienlandschaft geben: Man rechnet im künftigen Parlament mit deutlich weniger Parteien: Sogenannte „Parlaments-Zwerge“ werden nach Stand der Dinge voraussichtlich außen vor bleiben. Das betrifft die liberale „To Potami“ (1,58 %), die rechtspopulistische ANEL (0,80 %), die lange als Koalitionspartner von Tsipras fungierte und die Enossi Kentroon (1,46 %). Splitterparteien, wie de Laiki Enotita des früheren SYRIZA-Ministers Panajotis Lafazanis oder die „Plevsi Eleftherias“ (Kurs der Freiheit) der einstigen Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou (1,63 %) haben mit ihren marginalen Ergebnissen erstrecht keine Chance.

Reaktionen der Presse und der Börse

Die griechische Presse reagiert unterschiedlich, je nach politischer Grundeinstellung. Die liberal-konservative Zeitung Kathimerini schrieb: „Wahlen nach einem starken Signal des Umbruchs“. Die ebenfalls nicht auf Regierungskurs befindliche Ta Nea frohlockte: „Endlich Schluss!“. Die Linke Zeitungen Efimerida ton Syntakton sprach im Titel von einer „Schweren Niederlage“, aber mit Blick auf die vorverlegten Parlamentswahlen von einer „mutige Entscheidung“. Die zu SYRIZA gehörige „Avgi“ titelte: „Parlamentswahlen für einen klaren Auftrag“ und deutete damit an, dass Tsipras den Urnengang in rund einem Monat gewinnen könnte.
Für Euphorie sorgte die Ankündigung des vorverlegten Urnenganges vor allem an der griechischen Börse. Man spekuliert auf freundlicheres Umfeld für Investoren und auf bessere Entwicklungsmöglichkeiten für die Unternehmen des Landes. Die Wahlbeteiligung war für griechische Verhältnisse mit 58,23 % relativ niedrig, die Anzahl der ungültigen und „weißen“ Stimmen wird mit 4,32 % angegeben.

Jan Hübel

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