Login RSS

Regierung schmettert Misstrauensantrag ab – doch das Misstrauen der Bevölkerung bleibt Tagesthema

  • geschrieben von 
Unser Archivfoto (© Eurokinissi) entstand vor dem Parlamentsgebäude in Athen. Unser Archivfoto (© Eurokinissi) entstand vor dem Parlamentsgebäude in Athen.

Die Regierung der ND konnte am Freitag einen Misstrauensantrag, den die Opposition eingebracht hatte, abschmettern. Doch sie ist angeschlagen. Scharfe Kritik äußerte etwa auch der ehemalige Regierungs- und ND-Chef Samaras an seiner früheren Partei. Ein Parlamentarier musste wegen Beleidigung einer Kollegin aus den Reihen der Regierungsfraktion ausgeschlossen werden..

Die Regierung der konservativen Nea Dimokratia (ND) konnte am Freitag (7.3.) die Misstrauensfrage, die die Opposition gestellt hatte, zurückweisen. Dennoch ging sie nicht ganz unversehrt aus dem Prozedere hervor. Von den 300 Parlamentariern haben der Regierungsfraktion 157 das Vertrauen ausgesprochen; diese stammen überwiegend aus den Reihen der ND. Hingegen haben 136 Abgeordnete der Opposition den Misstrauensantrag gebilligt. Sieben Parlamentarier waren bei der Abstimmung abwesend. Dabei handelt es sich um Abgeordnete aus den Reihen der faschistischen Spartiates als auch um die jetzt unabhängigen, aus den Reihen der ND ausgeschlossenen Parlamentarier Marios Salmas und Antonis Samaras.

Schwächung der Regierung
Dem vorangegangen war eine dreitägige Debatte in der Volksvertretung. Dabei musste die Regierung scharfe Kritik etwa auch von ihrem ehemaligen Parteivorsitzenden und Ex-Ministerpräsidenten Samaras (2012-2015) einstecken, der im November aus der ND ausgeschlossen wurde. Seine Rede wurde auch bei einigen Kollegen aus seiner ehemaligen Partei wohlwollend aufgenommen.
Insgesamt verlief die Debatte äußerst belebt: Innerhalb von 42 Stunden haben 172 Redner das Wort ergriffen. Am ersten Tag der Debatte, am Mittwoch, dem 5. März, hatte diese bis 3.27 Uhr nachts gedauert; am darauffolgenden Tage wurde gar bis 4.30 Uhr debattiert.
Zu einem Eklat kam es, als der ND-Abgeordnete Dimitris Kyriazidis die Vorsitzende der Oppositionspartei Plevsi Eleftherias Zoi Konstantopoulou beleidigte, weil sie bisher kinderlos ist. „Mach ein Kind!“, hatte er sie ironisch aufgefordert. Premierminister Kyriakos Mitsotakos sah sich dazu veranlasst, seinen Genossen aus der Fraktion auszuschließen. Kyriazidis schenkte anschließend der Regierung dennoch sein Vertrauen.

Ungeklärte Unfallursache
Eingereicht worden war der Misstrauensantrag vor den sozialistischen PASOK in Kooperation mit den weiteren Oppositionsparteien SYRIZA, Nea Aristera, Plevsi Eleftherias und neun unabhängigen Parlamentariern.
Hintergrund ist ein Bahnunglück, dass sich vor zwei Jahren ereignete und bei dem 57 Menschen ums Leben kamen. Weil einige undurchsichtige Details des Unfalls noch immer nicht geklärt werden konnten, ist es in den vergangenen Wochen im In- und Ausland zu Massenprotesten gekommen, an denen sich weltweit mehr als eine Million Bürger beteiligt haben. Die größten dieser Kundgebungen fanden am 26. Januar und am 28. Februar statt. Kritisiert wurde die zögerliche Arbeit der Justiz, und es war von Versuchen die Rede, die tatsächlichen Unfallursachen zu vertuschen.

„Lüge als Leistungssport“
Premierminister Mitsotakis kritisierte, dass die Vertrauensfrage in einem „besonders komplizierten geopolitischen Umfeld“ gestellt worden sei. Der Opposition warf er dabei vor, „fake news“ und „Lügen“ zu verbreiten. Oppositionschef Nikos Androulakis wiederum wies Premierminister Mitsotakis persönliche Verantwortung für das Unglück zu. SYRIZA-Chef Sokratis Famellos bezeichnete den Regierungschef als „arrogant“. Der Generalsekretär der kommunistischen KKE Dimitris Koutsoumpas stellte fest, dass die „Tränen der Bevölkerung zu Wut geworden sind“. Der Vorsitzende der Griechischen Lösung Kyriakos Velopoulos beschrieb die gestellte Vertrauensfrage zwar als einen „politischen Fehler“, warf jedoch der Regierung gleichzeitig vor, „die Lüge zum Leistungssport“ erhoben zu haben.
Während der Debatte ist es vor dem Parlament zu einer Demonstration von Studenten und Arbeitnehmerverbänden gekommen, die Gerechtigkeit bei der Aufklärung des Tempi-Zugunglücks forderten. Auch Mitarbeiter der Griechischen Bahn haben während der Kundgebung auf Unzulänglichkeiten bei ihrem Unternehmen aufmerksam gemacht.

„Verbrechen statt Unfall“
Vor dem Hintergrund der jüngsten innenpolitischen Entwicklungen wird eine Regierungsumbildung wahrscheinlich. Ins Zentrum des öffentlichen Interessens rückt vor allem auch eine Untersuchungskommission, die Vorwürfe klären soll, wonach der frühere Staatssekretär beim Premierminister Christos Triantopoulos eine rasche Aufschüttung des Unfallortes angeordnet haben soll. Dadurch könnte wichtiges Beweismaterial verlorengegangen sein, so die Kritik. Die Kommission soll noch in dieser Woche einberufen werden. Sie wird aus insgesamt 27 Abgeordneten bestehen; 14 ND-Leute, drei der PASOK, zwei von SYRIZA. Die übrigen Parlamentsparteien werden mit jeweils einer Stimme vertreten sein.
Für das Meinungsbild der regierenden ND sind diese Entwicklungen eher negativ. Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts MRB zufolge vertreten 78,5 % der Bürger die Auffassung, dass die Regierung nicht ihr Bestes gebe, um den Tempi-Fall vollkommen aufzuklären. Und immerhin mehr als sieben von zehn Griechen (72,2 %) sprechen von einem Verbrechen statt von einem Unfall. (Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)

Nach oben

 Warenkorb