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In zerklüfteter, wilder, traumhaft schöner Gebirgslandschaft

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Foto (© Griechenland Zeitung / lg): Die hohen Gipfel der Tzoumerka-Region sind angezuckert oder vollständig mit Schnee bedeckt. Foto (© Griechenland Zeitung / lg): Die hohen Gipfel der Tzoumerka-Region sind angezuckert oder vollständig mit Schnee bedeckt.

Eine unbekannte Perle Griechenlands ist die Tzoumerka-Region, die die Bezirke Ioannina, Trikala und Arta unter sich aufteilen. Sie besticht durch beeindruckende Natur, hohe Berge und tiefe Schluchten, ebenso wie durch ein breit gefächertes Freizeitangebot. Unsere Autorin verkostet u. a. sauren Käse in Kalarites, besucht das Märtyrer-Dorf Katarraktis und genießt urgemütliche Kafenia, die dem Besucher in jedem noch so kleinen Ort einen warmen Empfang bereiten.

Die Gebirgslandschaft der Tsoumerka-Region dürfte bei so ziemlich jedem Besucher einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Aufgrund der klimatischen Bedingungen und der stark variierenden Höhenunterschiede trifft man hier auf viele autochthone Pflanzen, wie wilde Lilien, Narzissen oder Enzianarten. Und die Tierwelt? Wölfe, Bären, Adler, Otter oder Wildziegen leben hier: Sie sind streng geschützt. Unterstützt wird das Gesamtbild einer intakten Umwelt auch durch den stets präsenten Respekt, mit dem die Bewohner mehr als anderswo Fauna und Flora begegnen. Hier liegt kein Abfall herum, die in den Bergdörfern am Straßenrand stehenden Müllcontainer sind auffallend bunt angemalt.

Malerisches Kalarites

Vom Kipina-Kloster aus wandern wir die Straße entlang, erreichen eine Steinbrücke und erblicken hoch droben auf dem Berg eine Siedlung. Dorthin wollen wir. Also zurück zum Auto und hinein in die Haarnadelkurven! Bei dem Sehnsuchts-Ort handelt es sich um Kalarites, ein Dorf aus Stein und von malerischer Schönheit. Aufgrund der engen, mit Pflastersteinen ausgelegten Gassen, ist Kalarites autofrei, also parken wir den Wagen am Ortseingang. Wir machen ein geöffnetes Lokal ausfindig, das zu einem Hotel gehört. Der Kälte zum Trotz und der Aussicht zuliebe setzen wir uns auf die Terrasse. Wir wärmen unsere Finger an den heißen Kaffeetassen. Als wir einen Tsipouro bestellen – schließlich möchten wir die lokal hergestellten Produkte kosten –, machen wir die Bekanntschaft des redseligen Hotelbesitzers Vassilis, seiner Frau und ihres zweijährigen Sohnes. Zum Schnaps serviert sie uns deftige Mezedes mit Fleisch und Bohnen, danach gibt es zum hausgemachten sauren Schafskäse (galotiri) ofenheiße, in der eisigen Bergluft dampfende Spinattaschen. „Dieser Tsipouro geht aufs Haus“, sagt Vassilis, und schenkt uns nach. Der Schnaps ist samtig, köstlich und wärmt von innen.
Vassilis erzählt uns, dass seine Familie den Schnaps seit Generationen selbst herstellt und dass er aufgrund der Höhenlage hier später als in den tiefer liegenden Regionen gebrannt werde. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen gibt er uns weitere Geschichten zum Besten. Vassilis wurde hier geboren, er kennt die Berge wie seine Westentasche. Als vor zwei Jahren die Geburtswehen seiner Frau einsetzten, musste er sie mitten in der Nacht, mitten im Winter, über den Bergpass nach Trikala ins Krankenhaus bringen. Es lag Schnee, vor lauter Nebel konnte man die Straße nicht sehen. Unterwegs schrie seine Frau ohne Unterbrechung, dass sie wohl alle sterben müssten!

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Das Dorf Kalarites

Die Zukunft des Tsipouro

Vassilis ist auch ein guter Handwerker. Die Kunstfertigkeit, Steindächer zu decken, würden hier im Dorf nur noch zwei Brüder beherrschen, die beide über sechzig seien, fährt er fort. Nach ihnen werde diese Kunst wohl in Vergessenheit geraten. Nur einige Albaner, die im Jahr 1992 hier in die Berge gekommen seien, seien in diesem Handwerk noch ansatzweise bewandert. Die Kunst der Schnapsproduktion hingegen, lacht Vassilis, werde wohl nie verloren gehen. Er gebe sie zum Beispiel an seinen Sohn weiter. Und schon kommt er wieder mit der Schnapsflasche an. Trotz der Verlockung und der wahnsinnig schönen Aussicht dränge ich jetzt zum Aufbruch. Wir sind ohnehin schon länger als beabsichtigt geblieben. Die Rückfahrt nach Ktistades, wo wir wieder übernachten werden, möchte ich noch vor Einbruch der Dunkelheit angehen. Ich habe die zig Haarnadelkurven im Kopf, die unvermutet auf der schmalen Bergstraße auftauchenden Rinder, Schafe oder Ziegen und denke nicht zuletzt voller Ehrfurcht an die tiefen Abgründe am Rande der oft ungesicherten Fahrbahn.

Nebelbänder in den Talsenken

Nach einer ruhigen Nacht in Ktistades ist heute schon unser dritter und letzter Tag im Pindos-Gebirge, und wir machen uns auf nach Katarraktis. Vassilis hat uns am Vortag in Kalarites eine andere Straße für unseren Rückweg empfohlen – nicht wie bei der Herfahrt von Arta über Pramanta, sondern um den Gipfel des Strogoula herum über das Dorf Katarraktis.
Das Wetter hat unterdessen umgeschlagen, es ist nicht mehr sonnig, sondern feuchtkalt. Wolken ziehen auf, hüllen die Gipfel ein, die Talsenken sind hie und da mit Nebelbändern durchzogen – wie mit Engelshaar, finde ich, dem altertümlichen und kaum mehr anzutreffenden Weihnachtsschmuck. Auf unserem gestrigen Ausflug sahen wir noch massive, horizontal verlaufende Gesteinsschichten, das Gebirge auf dieser Seite, schon Teil des Regionalbezirks Arta, scheint zum größten Teil aus Sand und Lehmschichten zu bestehen. Die Wurzeln des kargen Tannenbestands halten sich nur mühsam an den vielerorts abrutschenden Hängen fest. Sie ragen wie riesige Finger aus dem spärlichen Erdreich hervor, viele Wipfel neigen sich fast ängstlich dem Hang zu. Es ist ein puritanisches Gebirge und erinnert an gigantische Sandburgen, die von Wind- und von Regenstürmen demoliert wurden. In der Ferne erstreckt sich jedoch bis an den Rand des Horizonts ein umso stärker bewaldeter Teil des Pindos-Gebirges – ein Meer vor Bergen, Felsenwelle um Felsenwelle, soweit das Auge reicht.

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Wir machten auch Halt im Märtyrer-Dorf von Katarraktis an den Abhängen der imposanten Bergrücken.

Ein schönes Dorf im Schlaf

In der Talsenke verteilt liegen die Dörfer Mikrospilia und Lepiana. Katarraktis Artas – Martyric Village steht auf einem Schild am Straßenrand. Katarraktis liegt auf einer Höhe von 726 Metern, die wenigen, aus Stein erbauten Hotels sind geschlossen. Wir treffen keine Menschenseele auf der Straße an, die uns mehr über die Geschichte des Ortes erzählen könnte. Im Oktober 1943 wurde Katarraktis im Zuge von sogenannten Vergeltungsmaßnahmen von Nazi-Truppen überfallen, man exekutierte elf Menschen, legte Häuser und andere Gebäude in Asche und vernichtete die Ernte.
Bei unserem Besuch ist es etwa Mittag, kalt, das schöne Dorf liegt im Schlaf. Die ältere Bezeichnung des Ortes war Schoretsana. 1927 beschloss man jedoch, ihn nach den zwei Wasserfällen (katarraktis, gr. = Wasserfall) zu benennen, die sich in unmittelbarer Nähe etwas weiter oben am Berg befinden. Dort gibt es auch, wie uns ein Schild deutlich macht, ein Kafenion.
Die von Unwettern gebeutelte Straße führt über viel Geröll. Wie vielerorts im Pindos-Gebirge sieht man hier immer wieder aus dem Gestein hervorschießende Quellen, die um diese Jahreszeit freilich gefroren sind. Hinter einer Kurve taucht dann unser Ziel auf: eine auf einem kleinen Hochplateau angesiedelte Berghütte. Zu unserem Erstaunen stehen gar drei Fahrzeuge auf dem Parkplatz, den bloß ein kleines Geländer vom Abgrund trennt. Beim Parken und Wenden kriege ich immer eine kleine Panik und denke an die oft nur zu erahnenden Tiefen der Canyons ...

In der Wärme des Ofens

Und wie ist die Aussicht von diesem Hochplateau über dem Dorf Katarraktis? Phänomenal! Um uns herum nur Berge und hinter uns, an der Rückseite der Hütte, die in den Felswänden festgefrorenen Wasserfälle. Drinnen im Kafenion ist es urgemütlich, ein unter der Decke verlaufendes Ofenrohr spendet Wärme, die Tische sind aus Holz gezimmert, rund um die aus Stein erbaute Hütte geben die Fenster den Blick frei auf die Landschaft. Im Hintergrund läuft, wie überall in diesen Gebirgsdörfern, der Fernseher. Außer uns sind noch vier weitere Touristen anwesend. Wir alle sitzen in unseren Mützen und Mänteln, weil es trotz der Ofenwärme aus allen Ritzen zieht. Aus dem Radio kratzt Musik und Werbung. Wir trinken Kaffee, schauen nach draußen. Wir sitzen im Himmel! Wenig später brechen wir wieder zur Erde auf, ins Tal, in die Ebene von Arta. Von dort sehen wir die Gebirgsketten des Pindos wieder nur aus der Ferne – am liebsten von Jannis’ Taverne aus, in Paliampela am Ambrakischen Golf.

Die historische Plaka-Brücke

Auf der Heimfahrt folgen wir dem Lauf des mächtigen Arachthos. Wir überqueren wieder Brücken aus Stein und auch solche aus Metall. Bei einer Pause am Straßenrand bleibt ein zerbeultes, sonnenverblichenes Fahrzeug neben uns im Geröll stehen. Der Sohn, ein Ebenbild seines am Steuer sitzenden Vaters, kurbelt das Fenster herunter. Ob wir Hilfe brauchten? Nein, antworten wir, alles in Ordnung. Die Beiden steigen trotzdem aus, sichtlich erfreut, sich mit jemandem unterhalten zu können. Viele Menschen seien winters hier ja nicht anzutreffen, meint der Vater, da fänden sich während der Weihnachtsferien schon mehr Touristen ein. Dann seien die Hotels wieder belegt, genauso wie um Ostern herum und im Sommer. Bei Autopannen, fährt er fort, sei man während der Wintersaison auf die Hilfe der wenigen vorbeifahrenden Mitmenschen angewiesen. Der Vater stellt sich als Achilleas vor und erzählt uns, dass der sich unter uns dahinschlängelnde Fluss der Mythologie zufolge im Pindos geboren worden sei. Der Arachthos sein einst vergöttert worden. Sein Name leite sich vom antiken Verb aratto ab, was man als zermalmen übersetzen könne und auf die zerstörerischen Kräfte des Flusses hinweise. Ob wir schon die Plaka-Brücke gesehen hätten? Arachthos, sagt er, als rede er von einer Person, habe die alte Steinbrücke 2015 während eines sintflutartigen Starkregens zum Einsturz gebracht. Doch sie wurde wieder aufgebaut und sei seit kurzem wieder intakt. Die Menschen hier im Gebirge seien auf die Brücken angewiesen, fügt er hinzu.

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Die historische Steinbrücke von Plaka erstrahlt nach ihrer Zerstörung in neuem Glanz.

Touren auf dem Arachthos

Achilleas’ Sohn outet sich nun und erzählt uns, dass er im Nationalpark Tzoumerka Rafting-Touren anbiete – auf dem Arachthos und auch auf seinem Nebenfluss, dem Kalarytikos. Überhaupt, meint er, sei diese Gegend das absolut beliebteste Rafting-Revier Westgriechenlands. Hier gebe es leichte Routen für Anfänger und äußerst schwierige für Fortgeschrittene. In seinem Programm habe er auch nächtliche Touren auf dem Arachthos flussabwärts, was im Licht des Vollmonds am schönsten sei.
Wir verabschieden uns, es ist an der Zeit, die Talfahrt vor Einbruch der Dunkelheit fortzuführen. Nicht lange und wir werden wieder in Arta sein, dem Ausgangspunkt unserer dreitägigen Rundfahrt ins Tzoumerka-Gebiet im Pindos Gebirge. Und dort, in der Ebene von Epirus, werden wir uns daran erinnern, dass man in der zerklüfteten, wilden, traumhaft schönen Gebirgslandschaft hoch oben wie im Himmel sitzt.

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Der einst göttlich verehrte Arachthos-Fluss ist ein ständiger Begleiter auf den Touren zu den Tzoumerka-Dörfern.

Die Erkundungstour fand wenige Wochen vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie statt.

Text und Fotos: Linda Graf

 

 

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